Andrea Caroni

Ständeratspräsident

11. Juni 2024

Kartellgesetz (KG). Änderung

Ich habe – das möchte ich vorab sagen – viel Verständnis dafür, dass man bei dieser Vorlage genau hinschaut. Wie vom Minderheitssprecher oder auch von Kollege Bischof gesagt, operieren wir hier am offenen Herzen unserer freien Wettbewerbsordnung, und wir sollten dies, Zitat Herr Bischof, “mit zittrigen Händen” tun. Dennoch glaube ich, wenn man den Antrag der Mehrheit richtig versteht – man könnte ihn auch falsch verstehen wollen -, dann sind wir im Einklang mit der verfassungsmässigen Idee, dass man die volkswirtschaftlich negativen Auswirkungen der Kartelle bekämpfen soll, nicht aber abstrakt die Kartelle per se bekämpfen soll, sondern nur gewisse Verhaltensweisen.

Heute besteht bei den Gerichten – infolge des Zahnpastaentscheids, den uns Herr Germann so schön illustriert hat – die unwiderlegbare Vermutung, dass per se eine Erheblichkeit vorliegt, wenn Kartelle gewisse Absprachen treffen. Was die Mehrheit will, ist nichts anderes als eine Einzelfallbetrachtung. Deshalb ist in der Formulierung von Artikel 5 Absatz 1bis das Wort “konkret” so wichtig. Aber was wir nicht wollen bzw. was wir weiterhin nicht verlangen, ist, dass man dann einen Schaden darlegen, geschweige denn nachweisen muss. Sie finden in der Formulierung also weder das Wort “nachweisen” noch das Wort “Schaden”, sondern Sie finden nur “darlegen”. Damit gemeint ist eine abstrakte, ex-ante Plausibilisierung, ein theoretisches Konzept, eine Schadenstheorie, wie es in der Wissenschaft auch heisst. Sie müssen also nur darlegen, Sie müssen nicht beweisen, und Sie müssen nicht den Schaden, sondern nur die Schädlichkeit darlegen.
Es geht also um die Frage, ob eine Absprache in einer konkreten Konstellation ein Problem sein könnte oder nicht. Sie müssen dann nicht fünf Jahre warten und schauen, was für tatsächliche Schäden in der Realität passiert sind und diese dann auch noch nachweisen. Das ist nicht gemeint, oder um es ins Strafrecht zu übersetzen: Dort gibt es die sogenannten abstrakten Gefährdungsdelikte wie z. B. zu schnell fahren. Wenn Sie das tun, sagt das Gericht, es ist egal, was wirklich passiert ist, wir nehmen einfach an, es war gefährlich. Das macht das Gericht heute im Kartellrecht. Es sagt, wenn eine gewisse Art von Abreden da ist, dann war das ganz sicher sehr gefährlich für den Wettbewerb. Wir wollen weg von diesem abstrakten Gefährdungsdelikt hin zum konkreten Gefährdungsdelikt, indem wir sagen, es muss im konkreten Fall aufgezeigt werden, dass auch wirklich eine Gefahr besteht. Das Aufzeigen der Gefahr reicht. Wir wollen weiterhin kein Erfolgsdelikt, strafrechtlich gesprochen, wo Sie zeigen müssen, dass auch wirklich ein Schaden eingetreten ist.

Im Resultat verstehe ich das Konzept der Mehrheit ein wenig wie eine ausgefeilte Bagatellklausel. Nehmen wir einen bestimmten Fall: Wir haben jetzt von den Nidwaldner Bäckereien gehört. Ich finde, über die Gebietsabsprache kann man diskutieren, die geht vielleicht schon in Richtung von Herrn Germanns Angst, dass man die Konkurrenz dann ausschliesst. Aber man könnte sich das jetzt etwas extremer vorstellen: Es gibt, ich weiss es nicht genau, sagen wir einmal, zehn Bäckereien im Kanton Nidwalden, und zwei davon machen jetzt ab, dass sie am Sonntag die Zöpfe in einer gewissen Menge oder zu einem gewissen Preis herstellen. Das schränkt zwar objektiv gesprochen den Wettbewerb ein ganz klein bisschen ein, aber wahrscheinlich auf einem Niveau, wo man sagen würde, das rechtfertigt jetzt nicht die harte Hand der Weko. Schaut man diese Konstellation an, sieht man: Hier sind wir im Bereich der Bagatellen, auch wenn es ganz abstrakt gesprochen eine Preisabsprache war. Das wäre dieser Schritt vom abstrakten Gefährdungsdelikt zum konkreten Gefährdungsdelikt, und in diesem Fall würde man dann vielleicht keine Gefahr feststellen.

Es besteht die Möglichkeit, dass die Mehrheit nicht durchkommt. Der Beschluss war in der Kommission äusserst knapp mit 6 zu 6 Stimmen und Stichentscheid des Präsidenten. Ich formuliere darum zuhanden des Nationalrates eine Idee. Angenommen, wir machen heute diesen Schritt nicht und lehnen es ab, zu sagen, die Weko muss darlegen, dass hier eine Schädlichkeit besteht, dann gäbe es einen Mittelweg, den wir noch nicht ausgelotet haben. Man könnte sagen, die Weko kann die Erheblichkeit nicht mehr wie heute einfach unwiderlegbar behaupten, und Sie müsste auch nicht, wie es die Mehrheit will, in jedem Einzelfall die Schädlichkeit konkret darlegen. Der Mittelweg wäre auch hier eine Vermutung. Wir kennen schon die Beseitigungsvermutung, die übrigens bestehen bliebe, Herr Germann, die unberührt bliebe, die aber auch meistens fallengelassen wird. Als Mittelweg könnte man nun auch sagen, wir beschliessen eine Erheblichkeitsvermutung. Gibt es eine Abrede und diese beseitigt den Wettbewerb nicht, dann liesse sich die Erheblichkeit immerhin vermuten, und dann müssten die anderen Parteien darlegen, warum konkret in diesem Fall keine Gefahr besteht. Ich habe in diese Richtung weitergedacht, nur für den Fall, dass die Mehrheit scheitern sollte, aber mir scheint sie ein vertretbarer Schritt zu sein, auch wenn wir hier in einem sehr heiklen Bereich operieren.

Ich bitte Sie in diesem Sinne, der Mehrheit zu folgen.