Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger
Am 2. Dezember 2024 wurde ich für ein Jahr zum Präsidenten des Ständerates gewählt. Während dieses Jahres werde ich die Sitzungen des Ständerates leiten und zusammen mit meiner Kollegin, Nationalratspräsidentin Maja Riniker, die Bundesversammlung gegen aussen vertreten. Ich nehme diese Aufgabe mit grossem Respekt und Freude wahr.
Leitstern meines Amtsjahres ist die Liebe zu unseren Institutionen des freiheitlichen, demokratischen und föderalistischen Rechtsstaates. Sie ermöglichen uns seit über 176 Jahren ein friedliches und blühendes Zusammenleben. Darüber hinaus möchte ich die verbindende Kraft der Musik nutzen, um unseren Zusammenhalt zu stärken.
Hier finden Sie meine Ansprache zur Wahl als Präsident des Ständerates.
Ihr Andrea Caroni
PS: Politik soll bei den Leuten sein. Ich freue mich, wenn Sie mit mir in Kontakt treten.
Meine Ansprache zur Wahl zum Ständeratspräsidenten
Chars collegas, und vor allem, liebe Gäste auf der Tribüne
ich danke Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von tiefstem Herzen für das grosse Vertrauen, das Sie mir soeben ausgesprochen haben. Ich danke der Vertretung meines Kantons, angeführt vom Kantonsratspräsidenten und dem Landammann, für den politischen Support und den physisch-moralischen Support heute im Saal. Ich danke meinen Freunden, meiner Familie, dass sie auch diesen magischen Moment mit mir teilt. Ich danke ganz speziell meiner Partnerin, Jasmin, und meinen Kindern, Flavio und Fiona, für alles. Ich möchte, dass Ihr – im Amtlichen Bulletin auf ewig festgehalten – wisst, dass Ihr das Beste seid, was mir je passiert ist.
Dann danke ich meiner Vorgängerin Eva Herzog für das tolle Lehrjahr an ihrer Seite. Danke, dass du mich so oft an diesem Pult hast trainieren lassen. Ich bin froh, dass ich ein bisschen üben konnte, und bin sicher, dass Sie alle hier auch froh sind darüber. Eva Herzog ist ihrerseits wahrscheinlich froh, dass sie nun endlich Zeit hat, das tolle Geschenk, das ich ihr zur Wahl überreichte, etwas genauer zu studieren – einen spannenden Verfassungskommentar auf kompakten fünftausend Seiten.
Wenn ich zu Amtsbeginn nur vier Gedanken an Sie richten darf, dann wären das die Folgenden:
- die Welt ist schlecht;
- die Welt ist gut;
- auf die Institutionen kommt es an; und
- auch der Ständerat ist eine wichtige Institution und eine musikalische.
Zum ersten Gedanken: Wir Politiker zelebrieren ja gewöhnlich das Negative. Entweder lamentieren wir über den Status quo und empfehlen uns als Veränderer, oder wir lamentieren über die Veränderung und empfehlen uns als Bewahrer des Status quo. Nur zufrieden sind wir nie, ausser vielleicht – zwischendurch – mit uns selber, aber sicher nicht mit dem Bundesrat, nicht mit den anderen Parteien, oder der eigenen, und schon gar nicht mit dem Zustand der Welt und der Schweiz. Und das ist auch verständlich, denn es gibt auf der Welt Gewalt und Unterdrückung, Armut und Umweltzerstörung, und wir finden auch in der Schweiz viele Probleme und diskutieren den ganzen Tag darüber.
Wenn ich an dieser Stelle nur eines dieser Probleme nennen dürfte, dann wäre das ein ähnliches, wie es von meiner Vorrednerin und Vorgängerin erwähnt wurde, nämlich dass viel zu viele Menschen auf dieser Welt von Autokraten und Despoten unterdrückt werden und dass der freiheitliche demokratische Rechtsstaat unter Druck ist. Wir kennen diese Despoten, die ihr eigenes Volk unterdrücken, plündern, ihnen die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben rauben, sich mit Gewalt an der Macht halten, unsere Werte fürchten, weil sie ihre Macht bedrohen, und in besonders pathologischem Fall die Gewalt, mit der sie sich selber an der Macht halten, in Form von Krieg auch in andere Länder tragen. Sie sind auf dem Vormarsch – ja, die Welt ist schlecht.
Aber, und das ist mein zweiter Punkt, unser berufsmässig pessimistischer Blick auf die Welt darf uns nicht blind werden lassen für die guten Entwicklungen auf diesem Planeten, für all den Fortschritt, den wir erleben dürfen. Ich möchte Ihnen nur ganz wenige Beispiele geben aus der Perspektive des magischen Jahres 1848.
Regardons tout d’abord l’évolution mondiale: à l’époque, en 1848, seule la moitié des enfants – la moitié! – atteignait l’âge de 15 ans. Aujourd’hui, ce taux se situe à 95 pour cent, avec une population mondiale qui est six fois plus importante. Et l’espérance de vie moyenne, à l’époque, était de 31 ans, alors qu’elle est aujourd’hui de près de 73 ans.
Noch viel eindrücklicher ist der Fortschritt bei uns.
1848 betrug die Kindersterblichkeit auch in der Schweiz um die 20 Prozent, und die Lebenserwartung der ersten Ständeräte lag bei vierzig Jahren. Wir alle hätten also statistisch gesehen damals schon mehrere Kinder verloren gehabt, wären selbst schon tot, und wenn nicht, dann hätten wir krumme Rücken und keine Zähne mehr. Aber heute haben wir mit 65, statistisch gesehen, noch zwanzig gute Jahre vor uns.
1848 hatte im Ausland kaum jemand gute Worte für diese kleine Alpenrepublik übrig. Heute ist die Schweiz jedoch auf der globalen Bühne wirtschaftlich und politisch ein vernetzter Vorzeigestaat mit einer unglaublichen Innovationskraft. Mit dieser schaffen wir Fortschritt, mit dieser schaffen wir Wohlstand, und damit leisten wir uns auch ein starkes soziales Netz. Ja, die Welt ist auch gut.
Das führt mich zu meinem dritten Punkt, zu den Institutionen. Denn worauf kommt es an, oder wie entsteht dieser Fortschritt? Er gründet auf dem Credo der Aufklärung, dass der Mensch, wenn man ihn nur lässt, mit seiner Vernunft sein Dasein, unser aller Dasein, verbessern kann, und zwar gemeinsam, aber auch einzeln – im berühmten “pursuit of happiness”.
Um diese Kraft des Fortschritts in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft zu entfesseln, brauchen wir die Freiheit und auch die Sicherheit. Diese erhalten wir durch die Institutionen des Zusammenlebens. Diese halten uns den Rücken frei von denjenigen, die uns diese Freiheit nehmen wollen, von den Feinden, den Gegnern der Aufklärung, namentlich eben diesen Despoten. Ich erwähne sie so oft, weil sie in der Menschheitsgeschichte leider der Normalfall sind, weil die Verlockung der Macht so stark ist. Tout homme qui a du pouvoir est porté à en abuser. Das wussten bereits die Philosophen der Aufklärung, und das wusste auch mein Lieblingsautor Tolkien in seinem “Herr der Ringe”.
Aber sie wussten auch: “L’homme n’est ni ange ni bête” – der Mensch ist weder per se Teufel noch Engel. Es hängt auch von den Institutionen ab, welche Seite er ausleben und welcher Wohlstand daraus entstehen kann.
Für diese Einsicht gab es heuer sogar den Wirtschaftsnobelpreis, und die Schweiz ist dafür ein leuchtendes Vorbild. Nossa convivenza en pasch e bainstar vegn pussibilitada tras nossas instituziuns constituziunalas: il stadi da dretg, la separaziun da las pussanzas, la democrazia ed il federalissem.
Wir alle veranstalten ja oft Führungen durch das Bundeshaus für Schulklassen. Damit die Schülerinnen und Schüler dann für die Prüfung bereit sind, fasse ich meine Führungen für sie immer so zusammen, dass ich sage: “Ihr müsst nur eines wissen: In der Schweiz ist alles darauf ausgerichtet, dass alle an der Macht beteiligt sind und dass niemand zu viel Macht hat.” Wir atomisieren die Macht, und wir führen es uns bei jeder Gelegenheit eindrücklich vor Augen, so auch heute. Und damit das Präsidium nicht auf die Idee kommt, an diesem Pult hier oben abzuheben, zeigen wir ihm in der Sekunde seiner Wahl, wie rasch es dann ein Jahr später wieder abwärts geht – “Stägeli uf und Stägeli ab”.
Das führt mich zu einem vierten – dem zentralen – Punkt, nämlich zum Ständerat als wichtige und auch musikalische Institution.
In Svizzera, abbiamo la fortuna di avere un federalismo equilibrato, con un Parlamento quasi perfettamente bicamerale, in cui entrambe le Camere hanno esattamente le stesse competenze. Questo fa di noi un caso unico al mondo.
Betrachten wir ganz zum Schluss unser Parlament, unseren Ständerat für einmal nicht institutionell, sondern kulturell, nämlich eben musikalisch; denn die Musik spielt im Bundeshaus eine grosse Rolle.
Denken Sie an die Bundeshausband, denken Sie an die Gesangsabende in den Fraktionen, denken Sie an die stimmkräftigen Formationen – die Räte -, denken Sie auch an die Vereinigte Bundesversammlung, unser Monsterkonzert; und “Konzert” kommt vom lateinischen “Wettstreit”. Wie könnte man ein Parlament schöner beschreiben, denn als Wettstreit, eben als Konzert der Stimmen und Ideen?
Ganz besonders spielt diese Musik hier im Ständerat.
- Wir haben 46 stimmgewaltige Solistinnen und Solisten, lose eingeteilt in fünf Register. Weil wir so gerne mitspielen, stellen wir uns alle vier Jahre der Bevölkerung zum anspruchsvollen Vorsingen.
- Wir haben keine fixen Partituren, jeder darf jederzeit ein Solo wünschen; sein Solo kann dabei so lange dauern wie er möchte. Text, Takt und Tonfall stimmen zwar nicht immer. Wenn es aber eine Unstimmigkeit gibt, dann erhebt sich alsbald die Gegenstimme, und das Ganze löst sich in der Abstimmung auf. Und eines ist dabei immer grandios: die Stimmung.
- Nos prises de parole sont teintées de nos origines cantonales où les différents chants populaires reflètent la diversité fédérale, du Ranz des vaches au “Landsgemeindelied”.
- Il arrive également parfois que certains fredonnent un morceau plus politique encore, comme l’Internationale, le Cantique suisse ou mon morceau de jazz préféré: “Hymn to Freedom”.
- Wir haben viele Proberäume, die Kommissionszimmer, wir haben prächtige Bühnen für den Auftritt – hier -, wir haben auch eine Band-Bar und, falls Sie es noch nicht gesehen haben, seit heute dort auch einen Kühlschrank mit Aargauer und Ausserrhoder Spezialitäten.
- Ab und zu treten wir mit Special Guests, zumeist aus dem Bundesrat, auf. Das sind zwar keine Einladungen, sondern Aufgebote, und der Applaus ist ihnen nicht garantiert, aber dafür eine stattliche Gage.
- Und natürlich haben wir auch eine Vorband: den Nationalrat. Das würde der natürlich von uns auch sagen, und in Wahrheit spielen wir ja Call and Response.
- Und zuletzt haben wir auch eine Fahne – drüben haben sie eine nationale, und wir haben eine kantonale. Diese Tradition hat just ein Ausserrhoder, mein Vorgänger Hans Altherr, begründet, und dass jetzt dann bald – offenbar noch nicht, aber bald – die Ausserrhoder Fahne hier zum zweiten Mal weht, freut uns Ausserrhoder und Ausserrhoderinnen natürlich “ausserrhodentlich”.
Ganz zum Schluss stellt sich natürlich noch die Frage, was denn die Rolle des Präsidenten in so einem Orchester ist. Ich kann Sie beruhigen. Ich bin nicht der Vorsänger, ich bin nicht der Dirigent, ich bin auch nicht der Komponist. Ich bin auch hier einfach nur der Schlagzeuger. Der Schlagzeuger dient der Formation, er versucht, im Hintergrund zu bleiben. Am Anfang zählt er ein, damit alle wissen: Das Stück geht los. Dann hält er Takt und Tempo, damit keiner in den Traktanden davongaloppiert. Zwischendurch legt er mit der übrigen Rhythm Section, das ist das Ratssekretariat, den Klangteppich, damit Sie einzeln solieren, gemeinsam harmonieren und vielleicht zwischendurch sogar einmal brillieren können. Und am Schluss, wenn das Stück aus ist, schlägt er auf die Tschinelle, und alle wissen: Jetzt ist das Stück aus.
Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, nutzen wir das grosse Glück, das wir haben, dass wir in diesem Orchester des Ständerates mitspielen dürfen! Hauen wir auf die Pauke, stossen wir ins Horn, aber hören wir einander auch zu, auf dass für unser Publikum, die Menschen draussen im Lande, ein gefälliges Ganzes erklinge.
Ich danke Ihnen noch einmal herzlich für Ihre Wahl und Ihr Vertrauen.
Aber überlassen wir doch jetzt die Musik für einen Moment den wahren Profis. Begrüssen Sie mit mir die legendäre Streichmusik Alder mit Hansueli Alder, Ueli Alder, alt Nationalrat Köbi Freund und seinem Sohn Hansjürg Freund. Sie ist dank internationaler Tourneen weltberühmt, man kennt sie aber auch überall in der Schweiz, sogar im Kanton Zürich. Aus dem Kanton Zürich ist nicht nur meine Partnerin, sondern aus dem Kanton Zürich ist auch der ihrem Kulturkreis gewidmete Special Guest: Er hat zusammen mit der Streichmusik Alder vor 16 Jahren die geniale Mischung aus Volksmusik – konkret: Ausserrhoder Volksmusik -, Hip-Hop und Sprechgesang und damit diesen Mix aus Tradition und Moderne, aus Stadt und Land überhaupt erst erfunden. Er ist da mit seiner Sängerin Deborah. Begrüssen Sie mit mir Bligg.
Sie spielen für uns zwei Stücke. Das erste ist eine Ode an die Schweiz selbst aus der Perspektive eines Heimkehrers. Das Stück heisst: “Immer wänni hei chumm”.
Immer wänni hei chumm
Bligg und Streichmusik Alder
Herzlichen Dank. Das zweite und traurigerweise auch schon letzte Stück ist ein kleines Stück Musikgeschichte. Denn mit dem Stück, das nun folgt, hat diese Formation hier 2008 in der Sendung “Die grössten Schweizer Hits” zum ersten Mal die Mischung aus Volksmusik und Hip-Hop erschaffen. Sie waren damit monatelang in den Schweizer Charts. Das zweite Stück, das wir hören dürfen, heisst “Volksmusigg”.
Volksmusigg
Bligg und Streichmusik Alder
Herzlichen Dank der Streichmusik Alder, Deborah und Bligg! Was gibt es denn für passendere Musik für parlierende Volksvertreter als Sprechgesang mit Volksmusik?!
Ausserrhoder Silvesterchläuse
Zum Abschluss unserer Wahlen haben Sie noch etwas “Ausserrhodentliches” erlebt, nämlich die berühmten Ausserrhoder Silvesterchläuse. Sie treten üblicherweise nur in Ausserrhoden auf, und auch dort nur am alten und am neuen Silvester, also am 31. Dezember oder dann am 13. Januar. Heute aber waren sie bei uns, der Urnäscher Hof-Schuppel.
Video: Video der Wahl
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