Andrea Caroni

Ihr Ausserrhoder Ständerat

07. Juni 2022

Politische Arbeit | Wichtige Voten im Rat

Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht

Wenn Sie überhaupt noch mögen, dann möchte ich meinerseits noch auf drei Punkte hinweisen. Der erste Punkt ist ein Punkt, den auch Herr Jositsch ins Zentrum gestellt hat, nämlich Artikel 187 Ziffer 1bis betreffend Minderjährige unter zwölf Jahren. Hier bitte ich Sie, mit der Minderheit Mazzone zu stimmen und nicht zu überschiessen. Natürlich ist es strafwürdig, eine sexuelle Handlung an einem Kind unter zwölf Jahren vorzunehmen, und natürlich ist es strafwürdiger als bei einem älteren Kind. Aber Mindeststrafen, auch das erklärt Herr Jositsch immer zu Recht, müssen sich am mildesten denkbaren Fall ausrichten. Der mildeste denkbare Fall bei diesem Absatz hier ist wahrscheinlich ein anzüglicher Griff an den Hintern eines elfeinhalbjährigen Jungen. Das ist natürlich zu bestrafen, aber doch nicht auf der Stufe von Totschlag oder Vergewaltigung. In diese Kategorie kämen wir eben mit dieser Mindeststrafe von einem Jahr.
Dass das zu weit ginge, merken Sie auch am Schwelleneffekt. Wenn Sie nämlich diesen Griff an den Hintern eines elfjährigen Knaben einen Tag vor seinem zwölften Geburtstag tun, kriegen Sie neu ein Jahr Gefängnisstrafe. Wenn Sie es an seinem Geburtstag tun, ist die Mindeststrafe bei der genau gleichen Tat eine Geldstrafe von 90 Franken. An dieser Schwelle merken Sie, dass eine solche Mindeststrafe zu hoch wäre. Auch in der Vernehmlassung wurde sie abgelehnt. Natürlich muss es hart bestraft werden, wenn so etwas geschieht. Aber das kann im heutigen Strafrahmen geschehen.
Mein zweiter Punkt ist der Minderheit Engler und auch etwas Herrn Salzmann gewidmet, die die Strafrahmen bei den anderen Delikten angeschaut haben, vor allem bei der Vergewaltigung. Hier bitte ich Sie, der Mehrheit zu folgen. Wir haben hier eine Kaskade, die in sich stimmig ist. Wir haben die sexuelle Belästigung. Diese ist eine Übertretung. Dann haben wir neu den sexuellen Übergriff und auch die Vergewaltigung ohne Zwang. Hier gibt es dann eine Geld- oder Freiheitsstrafe, die sehr hoch sein kann. Es gibt einfach keine Mindestfreiheitsstrafe. Wenn jetzt noch Zwang hinzukommt - das war die Konstellation in den Ausführungen von Herrn Engler -, dann gilt eben die Mindeststrafe von einem Jahr, wie sie heute schon im Gesetz ist. Wenn wir sie beibehalten, ist alles in sich stimmig.
Herr Engler, Ihr primäres Anliegen war ja, wie ich es verstanden habe, nicht unbedingt eine möglichst hohe Mindeststrafe. Sie stören sich vor allem an der bedingten Ausfällung. Doch dieses Problem müssten Sie anders angehen, nicht mit einer künstlich hohen Mindeststrafe. In einem solchen Fall soll der Richter, wenn er dies als notwendig erachtet, halt auch die Erststrafe unbedingt aussprechen.
Und zu Herrn Salzmann: Die Geldstrafe ist neben der Freiheitsstrafe immer eine Möglichkeit. Also ist alles, was Sie wollen, möglich - bei schweren Delikten eine Freiheitsstrafe, unbedingte Strafen -, aber bitte heben Sie nicht die Kaskade aus den Angeln. Sie ist schön abgestuft, und das ganze Projekt heisst ja auch Harmonisierung der Strafrahmen.
Bei meinem dritten Punkt - und das ist natürlich der gewichtigste - geht es um die Artikel 189 und 190 StGB. Einfach um es noch einmal zu betonen, wie es einige schon getan haben: Wir machen namentlich mit der Einführung des sexuellen Übergriffs einen enormen, positiven Schritt hin zur Verschärfung und Verstärkung unseres Strafrechtes. Wir schliessen damit die Lücke zwischen der sexuellen Belästigung - die gibt es heute, quasi "Nein ist Nein" light - und den Nötigungstatbeständen der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung. Das ist der Meilenstein, wie es die Frau Bundesrätin auch zu Recht genannt hat. Auch die Vergewaltigung fassen wir breiter, nämlich auch ohne Zwang. Das war auch ein Wunsch aus Kreisen, die heute im Saal und draussen anwesend sind.
Es ist aber jetzt nicht nötig, noch diesen "Ja ist Ja"-Zusatzschritt zu machen. Es wäre ja nur noch ein Zusatzschritt, quasi eine Revolution, wie man es etwas darstellt. Wenn die Beweislast sich verschöbe, dann würde da etwas Gewaltiges passieren, etwas Dramatisches. Denn dann müssten Sie bei jeder sexuellen Handlung in Ihrem Leben nachträglich, Jahre später, beweisen können, dass eine Zustimmung vorlag. Wenn Sie sich an all Ihre sexuellen Begegnungen in Ihrem Leben zurückerinnern, wird Ihnen wohl kaum eine in den Sinn kommen, bei der Sie die Zustimmung noch belegen könnten.
Deshalb hat man uns sehr früh versichert, auch heute im Rat, dass dies nicht so gemeint sei, dass man die Beweislast nicht umkehren wolle. Das ist sicher richtig. Doch es bedeutet auch, dass der Unterschied eigentlich sehr klein ist. Denn wenn Sie in beiden Fällen dem Staat die Beweislast geben, muss er entweder das Nein beweisen oder er muss das Nicht-Ja beweisen - und ein Nichts können Sie nicht beweisen. Wenn also der Staat das Nicht-Ja beweisen sollte, sagt er sich: Gut, dann suche ich wieder das Nein, die Ablehnung. In beiden Fällen wird der Staatsanwalt schauen, wo das ablehnende Signal war. Irgendwo wird er es suchen und belegen müssen. Dann sind Sie eigentlich am gleichen Punkt - ausser in einem Fall, und der wurde heute oft zitiert, bei einem Freezing: Was ist, wenn das Opfer völlig ausserstande ist, zuzustimmen oder abzulehnen?
Ich denke, das sind wahrscheinlich die seltenen Fälle, schon deshalb, weil die Ablehnung ja mit ganz subtilen Mitteln erfolgen kann. Das Bundesgericht anerkennt verschiedenste Formen, verbal, nonverbal, wie Frau Gmür-Schönenberger schreibt. Das Opfer kann den Kopf schütteln, es kann weinen, es kann sich abwenden. Es hat sehr viele Möglichkeiten, die Ablehnung zu signalisieren, ohne dass es sich wehren oder auch nur Nein sagen müsste. Aber auch wenn es das nicht kann, braucht es keine "Ja ist Ja"-Lösung. Denn wenn das Opfer zum Widerstand völlig unfähig ist, ist das ebenfalls strafbar, es wird sogar scharf bestraft. Entweder hat der Täter das Opfer durch seine einschüchternde Art, sein Auftreten oder eine Drohung in diesen widerstandsunfähigen Zustand gebracht, dann ist es eine Nötigung; oder das Opfer ist zwar selber in diesen Zustand geraten, aber der Täter weiss das und nutzt es aus. Dann ist es nach heutiger Diktion eine Schändung nach Artikel 191 StGB. Das wird noch härter bestraft als ein Vergehen bei Ihrer "Ja ist Ja"-Lösung.
Im dritten Fall - und hier muss man den Text genau lesen - geht der Täter schon eventualvorsätzlich davon aus, das Opfer wolle es nicht. Es reicht der negative Wille. Das ist, so finde ich, einfach die Schärfe unseres Entwurfs! Das Opfer muss es nicht einmal ablehnen. Wir sagen zwar "Ablehnungslösung", wir schreiben aber "gegen den Willen". Wenn der Täter also nur schon eventualvorsätzlich annimmt, das Opfer wolle es vielleicht nicht - das Opfer lehnt es nicht einmal ab, aber der Täter nimmt an, es will es nicht -, dann ist es strafbar, wenn er sich darüber hinwegsetzt.
Damit sind eigentlich alle Konstellationen, inklusive des Freezings, in jeder denkbaren Situation vollständig abgedeckt. Ich kann mir einfach keinen anderen Fall konstruieren, auch wenn ich das ganze Strafrecht anschaue. Von daher braucht es die "Ja ist Ja"-Lösung nicht. Die Nachteile dieser Lösung wurden erwähnt: die falschen Erwartungen, die sie schüren würde - darauf haben die Frau Bundesrätin oder Herr Jositsch hingewiesen. Herr Rieder hat gesagt, dass man damit die Sexualität auch im einvernehmlichen Fall immer mit der Strafbarkeit überlagern würde.
Mein Hauptargument ist die Rechtssicherheit. Ich glaube, wir sollten unter Erwachsenen voneinander verlangen, dass wir klare Signale aussenden, wo es uns möglich ist. Wo das nicht möglich ist und der Täter das weiss, wird er dafür bestraft.
In diesem Sinne bitte ich Sie, hier bei der Mehrheit zu folgen.
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