Andrea Caroni

Ihr Ausserrhoder Ständerat

11. Juni 2013

Wichtige Voten im RatVorstösse

StGB und MStG. Verlängerung der Verfolgungsverjährung

Namens einer starken Kommissionsminderheit beantrage ich Ihnen, auf diese Vorlage nicht einzutreten. Über die Stärke der Kommissionsminderheit müssen sich die beiden Kommissionssprecher übrigens noch einigen - ob es 13 zu 11 oder 12 zu 10 Stimmen waren. Stark war Ihre Minderheit in jedem Fall.

Das Grundsätzliche vorweg: Selbstverständlich möchte Ihre Minderheit alles daran setzen, dass Gesetzesbrecher, welcher Art auch immer, ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Umgekehrt anerkennt auch die Mehrheit, also auch die heutigen Kommissionssprecher, dass das Institut der Verjährung Sinn macht. Zum einen nimmt das Strafbedürfnis über die Zeit ab, denn die Zeit heilt Wunden. Zum andern und vor allem wird die Beweislage mit der Zeit immer schwieriger und die Gefahr immer grösser, dass eine Untersuchung aus Mangel an Beweisen mit einem Freispruch endet. Und das ist der unbefriedigendste aller Fälle.

Genährt worden ist das allgemeine Unbehagen, das am Anfang dieser Vorlage stand, durch Fälle, von denen wir immer wieder hören. Das ist der Fall Swissair, und das ist der Fall "Oil for Food"; sie wurden auch heute wieder angeführt. Zu sagen ist aber, dass die Politik seither gehandelt hat.

Vor gut zehn Jahren beschlossen Sie in diesem Saal, damals noch ohne mich, die Verjährungsfristen in der Tendenz zu erhöhen, und gleichzeitig legten Sie fest, dass die Verjährung neu schon mit einem erstinstanzlichen Urteil eintritt, nicht erst mit einem rechtskräftigen Urteil. Die erwähnten Fälle, die am Anfang dieser Vorlage stehen und die auch die einzigen Fälle sind, die je genannt worden sind, weil sie ein Problem seien, fielen noch ins alte, ins mildere Verjährungsrecht. Sie sind heute also überholt. Wir mussten uns in der Kommission die Frage stellen: Besteht überhaupt Handlungsbedarf? Ich, und mit mir die Kommissionsminderheit, konnten diesen Handlungsbedarf einfach nicht finden. Ich habe vorhin den Kommissionssprechern zugehört: Es wurden wieder die alten Fälle genannt, "Oil for Food" und Swissair, die noch unter das alte Verjährungsrecht fallen, und es wurden generelle Aussagen zur Wirtschaftskriminalität gemacht, die häufig sei, die kompliziert sei, die Schaden anrichte. Selbstverständlich - aber man konnte uns keinen Fall nennen, in dem die Verjährung ein Problem gewesen wäre, das mit der Verlängerung um drei Jahre hätte gelöst werden können. Also guckten wir in die Botschaft und schauten, ob wir da Handlungsbedarf finden. Aber auch die Botschaft steht hier auf äusserst dünnem Eis. Als einzigen Beleg für einen angeblichen Handlungsbedarf wird auf eine Umfrage bei Staatsanwälten hingewiesen, und diese ist in einer Dissertation von 2006 zitiert. Natürlich haben Staatsanwälte, wenn man sie fragt, ein Interesse an längeren Fristen. Wer möchte nicht mehr Zeit für seine Aufgaben? Man kann sich dann aber die Frage stellen, wie brauchbar nur schon die Umfrage an sich ist; die Dissertation ist von 2006, die Umfrage muss noch viel älter sein. Damals konnte man das neue Verjährungsrecht noch gar nicht beurteilen. Vielleicht war das aber auch nicht Ziel jener Dissertation, sie trägt nämlich einen äusserst tendenziösen Titel und verrät damit wahrscheinlich auch, wes Gedanken Kind sie selber ist. Diese Dissertation, auf die sich die Botschaft stützt, heisst nämlich "Die strafrechtliche Verjährung der Wirtschaftskriminalität" - Achtung, jetzt kommt es! - "als Ausdruck der Klassenjustiz". Damit ist ja schon vorgespurt, was man darlegen wollte. Wegen eines solchen Pamphlets, glaube ich, sollten wir keine schärferen Gesetze beschliessen.

Wir gaben dann daraufhin der Bundesrätin in der Kommission noch die Chance, uns den Handlungsbedarf zu erklären. Aber das Einzige, was man uns sagen konnte, ist, dass es offenbar bei der Bundesanwaltschaft auch schon mal Schwierigkeiten mit Geldwäschereidelikten gegeben habe, dass sie dafür etwas wenig Zeit habe. Aber wegen etwas Zeitnot einer Behörde in einem Deliktsbereich müssen wir nicht schon wieder das Verjährungsrecht revidieren. Wir kamen also nach dieser Analyse, ob es überhaupt einen Handlungsbedarf gibt, zum Schluss, dass kein Anlass besteht.

Noch schwerwiegender aber ist, dass diese Revision auch schaden könnte. Zuerst einmal möchte sie Wirtschaftsdelikte treffen. Von diesen sprachen wir jetzt den Morgen lang. In Tat und Wahrheit aber trifft sie eine ganze Kategorie von Vergehen, und da sind auch ganz andere Delikte darin, an die Sie heute gar nicht denken. Ich nenne Ihnen nur ein anderes Wirtschaftsdelikt, das aber eher aus der Gastwirtschaft stammt: Auch zum Beispiel die Zechprellerei wäre neu einer zehnjährigen Verjährungsfrist unterstellt, also, wenn Sie hier in der "Galerie des Alpes" Ihren Kaffee nicht bezahlen. Schwerwiegender ist aber, dass eine ständige Reform des Verjährungsrechts auch der Rechtssicherheit schadet, obwohl ja die Verjährung an sich gerade Rechtssicherheit herstellen sollte. Zudem verzögert eine erneute Verlängerung der Fristen tendenziell die Strafverfolgung, denn wir wissen, dass eine Arbeit immer so lange dauert, wie wir Zeit haben.
Zuletzt besteht die schwerwiegende Gefahr, dass Delikte zwar nicht mehr verjähren, okay, aber unbeweisbar werden. Bei Wirtschaftsdelikten muss man ja vor allem einen Vorsatz beweisen, das ist das Schwierigste. Nach einigen Jahren können Sie einfach nicht mehr in den Kopf eines Menschen schauen.
Mein Fazit: Ich bitte Sie, diese unnötige Verlängerung der Verjährungsfristen abzulehnen. Wenn wir wirklich etwas für eine bessere Strafverfolgung tun wollen, dann müssen wir schauen, dass sie die nötigen Mittel dazu hat. Die Strafverfolgung in unserem Land braucht, wenn schon, Ressourcen, nicht Fristen.
Ich danke Ihnen, wenn Sie auf diese Vorlage nicht eintreten.

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