Andrea Caroni

Ihr Ausserrhoder Ständerat

26. Februar 2018

Wichtige Voten im Rat

Standesinitiative Aargau. Abschaffung der Heiratsstrafe

Es gibt so viele Gründe gegen diese Standesinitiative, dass ich sie etwas sortieren muss.

Die erste Gruppe sind die formalen Gründe, und die sind an sich schon genügend stark. Einer Standesinitiative wie einer parlamentarischen Initiative sollte man nach Parlamentsgesetz nur dann Folge geben, wenn sie erstens das Parlamentsrecht betrifft; das ist hier nicht der Fall. Zweitens sollte man ihr dann Folge geben, wenn eine angenommene Motion nicht rechtzeitig umgesetzt wird; das ist auch nicht der Fall. Die Motion Bischof wurde im Dezember 2016 angenommen, das ist ein gutes Jahr her, und der Bundesrat ist an der Arbeit. Der dritte und letzte Grund für ein Folgegeben ist, wenn es damit schneller gehen würde als per Motion: Ich glaube, wir haben jetzt zur Genüge gehört, dass es in diesem Geschäft nicht schneller ginge als per hängiger Motion, schon gar nicht wegen der Steuervorlage 2017.

Ein weiterer formaler Grund ist - das wurde noch zu wenig erwähnt -, dass diese Standesinitiative ganz konkret eine Verfassungsänderung verlangt, nämlich von Artikel 14 der Bundesverfassung. Wir haben die Initianten gefragt, warum sie jetzt wieder auf diese Ebene zurückgehen wollten. Sie konnten es uns nicht so richtig erklären. Sie haben dann einfach gesagt, sie wollten die hängigen Vorstösse mit etwas Rückenwind unterstützen. Aber gerade das tun sie nicht, sondern sie eröffnen einen neuen, hochkomplizierten Schauplatz auf der falschen Ebene, auf der Verfassungsebene. Schon aus diesen formalen Gründen sehe ich nicht ein, wieso man hier Folge geben sollte.

Kurz zu den beiden materiellen Themen, die namentlich von Kollege Graber erwähnt wurden: Das eine war das Sozialversicherungsrecht. Ich hätte eigentlich gedacht, dass nach der grossen AHV-Debatte die Heiratsstrafe in den Sozialversicherungen definitiv ins Reich der Mythen verbannt worden sei. Ich stelle fest, dass Kollege Graber immerhin implizit einräumt, dass es für die Ehepartner zahlenmässig die 800 Millionen Franken gibt, die dafür sprechen, dass es für sie damit einen Bonus gibt, dass aber die Wahrnehmung diesbezüglich anders sei.

Ich verstehe, dass die Wahrnehmung anders ist. Es gibt ja zwei Kategorien von Ehepaaren. Bei der einen stirbt ein Ehepartner vor Erreichen des Pensionsalters. Da greift die Hinterlassenenrente. Beim überlebenden Partner gibt es bei ihrer Höhe keinen Deckel. Diese Person wird sich also nicht bei uns über eine Heiratsstrafe beklagen. Aber bei den Paaren - glücklicherweise die grosse Mehrheit -, bei denen beide bis ins Pensionsalter überleben, gibt es einen Deckel. Die rufen uns dann an und beschweren sich über den Deckel und sehen halt im Rückblick nicht, dass sie diesen Versicherungsschutz hatten. Herr Graber hat ausgeführt, die Prämie, die 2 Milliarden Franken für den Versicherungsschutz, sei zu hoch. Aber es ist doch ein guter Deal, 2 Milliarden Franken Einbusse zu haben und total 2,8 Milliarden Franken zu erhalten. Noch nicht erwähnt wurde das Beitragsprivileg - Kollegin Fetz hat es indirekt erwähnt -; das gehört auch in diese Rechnung.

Nun kann man hingehen, wie Kollege Graber das sagt, und in einem neuen Anlauf das ganze Paket anschauen. Dafür wäre ich zu haben. Per saldo würden die Ehepaare aber verlieren, wenn man dann den Deckel aufheben würde und die Beitrags- und Hinterlassenenprivilegien streichen würde. In jedem Fall bräuchte man aber für diese Debatte nicht diese Standesinitiative.

Der letzte Punkt betrifft noch die steuerliche Heiratsstrafe. Auch diese ist per saldo gesehen ein Mythos; dieser Ausdruck stammt nicht von mir, sondern von der "NZZ". Auf der Bundesebene gibt es diese 5 Prozent der Paare mit einer gewissen Benachteiligung. Gesamthaft haben aber gemäss Eidgenössischer Steuerverwaltung 25 Prozent der Paare auf Bundessteuerebene einen Heiratsbonus. Das sind 370 000 Paare. Von denen spricht eigentlich niemand. Wenn man die günstigen kantonalen Systeme einberechnet, sinkt auch die Benachteiligung der 5 Prozent stark. Als ich per Interpellation 14.4196 den Bundesrat mal gefragt habe, wie es denn per saldo über alle Ebenen und Versicherungen aussehe, war die Antwort, man wisse nicht, ob und in welchem Umfang es diese Strafe wirklich gebe. Aber jeder versucht, diese 80 000 Paare besserzustellen. Was isoliert betrachtet vielleicht richtig aussieht, führt dann zu gigantischen Streuverlusten und neuen Ungerechtigkeiten, nicht nur bei den Konkubinatspaaren, sondern auch bei den Alleinstehenden.

Wenn man das alles zusammennimmt, kommt man eigentlich zum Schluss, dass der Status quo so schlecht nicht ist, auch wenn ihn zu akzeptieren für Politiker schwierig ist, weil man dann ja nichts tun kann. Eine Alternative dazu wäre die Individualbesteuerung. Zu dieser wurde schon viel gesagt, zu ihren Vorzügen und Nachteilen. Obwohl es Vorstösse gibt, haben wir dieses Thema hier nicht weitergeführt, einfach, um dann auch hier eine frische Debatte zu ermöglichen. Wir wollten nicht die Karteileichen von anno Schnee weitertragen.

Die Debatte wird ohnehin weitergehen, weil der Bundesrat seine alternative Berechnungsmethode vorstellen wird; das ist ein anderer Weg. Ich werde diesen kritisch prüfen, denn es drohen auch dort hohe Ausfälle, es droht auch dort Bürokratie und vor allem ein systematisches Zivilstandsprivileg, ausser wenn auch Konkubinatspaare das erhalten würden.

Mein Fazit ist also: Ich bitte Sie, dieser Standesinitiative keine Folge zu geben. Ich kann damit leben, dass die gegenteiligen Vorstösse auch ausser Rang und Traktanden fallen. Und langfristig das Beste, auch wenn es etwas politischen Mut infolge Nichtstuns braucht, wäre, den Status quo etwas mehr wertzuschätzen.

Zuallerletzt: Wenn man Ehepaare und Konkubinatspaare und Alleinstehende alle wirklich gerecht entlasten wollte, dann böte sich eigentlich das Mittel einer Steuersenkung für alle an. Mein bevorzugtes Projekt hierzu wäre die Abschaffung der realen kalten Progression. Das wäre der Ausgleich dafür, dass immer mehr Leute in der Progression nach oben rutschen, einfach, weil die Wirtschaft wächst - nicht wegen der Inflation, sondern weil die Wirtschaft real wächst. Und irgendwann werden alle in der obersten Klammer sein. Das wäre ein Ansatz für eine künftige Revision. Auch das muss bestimmt bis nach der Steuervorlage 17 warten, aber das würde immerhin allen Zivilständen gleichermassen helfen.

Vorerst aber sage ich Danke, wenn Sie der Standesinitiative gemäss Antrag der Mehrheit keine Folge geben.

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