Andrea Caroni

Ihr Ausserrhoder Ständerat

07. Dezember 2017

Wichtige Voten im RatVorstösse

Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten. Volksinitiative

Ich möchte Kollege Föhn als Kommissionssprecher nicht enttäuschen und werde in der Tat eine etwas andere Meinung darlegen. Es wäre sonst erstens langweilig, und zweitens wäre ich sonst gar nicht Minderheitssprecher. Ich erlaube mir also, Ihnen die demokratie- und staatspolitischen Gründe darzulegen, die für diesen Gegenvorschlag sprechen.

Die Minderheit möchte Ihnen die Möglichkeit geben, das Spannungsverhältnis zwischen der erwähnten Verfassungsbestimmung und dem Ausführungsgesetz abzubauen. Wie die meisten von uns zumindest im stillen Kämmerlein einräumen würden, besteht hier doch mindestens innenpolitisch eine gehörige Diskrepanz. Nun gab es gegen dieses Gesetz bekanntlich kein Referendum, was bei genauer Betrachtung halt leider für sich allein noch nicht ausreicht, da nur der Verfassunggeber und nicht der Referendumsnehmer oder der Gesetzgeber einen Verfassungsauftrag präzisieren oder ändern kann. Mit einer Ergänzung von Artikel 121a Absatz 5 der Bundesverfassung, wie auch von Kollege Föhn schon zitiert, kann der Souverän klarstellen, dass er diese Wertung so will, wie sie der Gesetzgeber vorgenommen hat, nämlich: Umsetzungsgesetz nur im Rahmen der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz. Wenn wir das Spiel so weiterspielen wie bisher, ohne den Souverän zu befragen, fürchte ich einfach, dass wir damit künftig noch schärferen Volksinitiativen - eine wurde schon genannt - Rückenwind geben.

Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, dieses Problem anzugehen. Eine erste: mit der Rasa-Initiative, wie sie von den Initianten eingereicht wurde. Meiner Meinung nach ist das aber kein Weg, da die Initiative zu radikal ist. Sie will die Kontingente sogar für die Drittstaaten herausnehmen. Für die Bilateralen wäre es ein schlechtes Zeichen, wenn diese Initiative zur Abstimmung gelänge und dort eine krachende Nein-Klatsche einfinge. Der Gegenentwurf hingegen ist minimalinvasiv und lässt den ursprünglichen Auftrag so weit als möglich bestehen, z. B. gerade mit den Kontingenten bezüglich aller Staaten, bei denen wir nicht durch Verträge gebunden sind.

Nun gibt es ausserhalb von Rasa noch eine zweite Variante, um das Spannungsverhältnis abzubauen, nämlich indem man darauf hofft, dass dem Souverän die entscheidende Frage, was für ihn vorgehen solle, von anderer Seite gestellt wird. Als die Kommission tagte, war die Frage noch ziemlich offen und die Antwort wolkig. Aber dann ist etwas passiert: Eine Partei hat einen Initiativtext publiziert und vorprüfen lassen und hat angekündigt, im Januar eine Initiative einzureichen. Diese enthält - so der Text, der mir bekannt ist - erstmals unmissverständlich einen Kündigungsauftrag.

Dennoch möchte ich Ihnen kurz darlegen, warum der Gegenentwurf auch gegenüber diesem Weg des Wartens auf jene Initiative ein paar Vorteile hat. Erstens ist die Initiative noch gar nicht eingereicht, geschweige denn zustande gekommen oder gar zur Abstimmung angesetzt. Auch Sie wissen - schauen Sie zurück - wie oft diese "Kündigungs-Initiative" schon angekündigt wurde; man müsste sie demzufolge eher "Ankündigungs-Initiative" nennen.

Es fällt mir schwer, darauf zu verzichten, diese grundsätzliche europapolitische Frage dem Souverän zu stellen, in der Hoffnung, jemand würde sie dann schon noch unterbreiten. So scheint es mir auf der Zeitachse zumindest angebracht, dass wir heute hier im Ständerat noch den Gegenentwurf aufrechterhalten. Wenn diesmal die Initianten ihre Ankündigungen wahrmachen und im Januar die Initiative wirklich einreichen, dann sieht das der Nationalrat ja und kann im März immer noch darauf einschwenken. Aber wenn wir nichts tun und auch die Initianten dann wieder nichts tun, dann fällt die Frage zwischen Stuhl und Bank. Oder in der Sprache des Dschungels ausgedrückt: Man sollte die erste Liane erst loslassen, wenn man die zweite ergriffen hat.

Ein zweiter Vorteil des Gegenentwurfes ist, dass er inhaltlich gesehen etwas anderes ist als ein Nein zu einer Kündigungs-Initiative, und zwar insofern, als man bei einem Nein zu einer Kündigungs-Initiative theoretisch sagen könnte: Gut, die Leute wollten offenbar nicht kündigen, aber wer weiss, sie haben ja noch Kontingente in der Verfassung, vielleicht wollen sie die Verträge dennoch systematisch verletzen. Nun, ich räume ein, das ist dannzumal eine vielleicht grenzwertige Auslegung; ich bringe es nur vor, damit Sie sich darauf einstellen können, wie zumindest die eine politische Seite dann argumentieren könnte.

Ein dritter Vorteil des Gegenentwurfes ist ein Punkt, der vom Mehrheitssprecher noch nicht erwähnt wurde. Die heutige Verfassungsbestimmung enthält in Absatz 4 ein Abschlussverbot für neue derartige Verträge. Das ist ein grosser Knackpunkt. Diesen löst auch ein Nein zu einer Kündigungs-Initiative nicht. Wir haben ja schon beim Kroatien-Protokoll erlebt, was für einen Murks das mit sich bringen kann. Wer weiss, vielleicht müssen oder wollen wir dereinst solche Verträge abschliessen, vielleicht mit Grossbritannien oder mit anderen Ländern, die uns sympathisch sind, die uns vielleicht sogar näher liegen als gewisse Länder, mit denen wir heute schon die Personenfreizügigkeit haben. Früher oder später, glaube ich, wird uns Absatz 4 im Wege stehen. Hier räume ich auch der Fairness halber ein, dass man natürlich Absatz 4 dann auch parallel aus dem Weg räumen kann. Sie können dann diesen neuen Vertrag bringen und gleichzeitig die Verfassungsfrage stellen. Sie haben dann einfach bis zur letzten Minute die Unsicherheit, ob Sie das tun dürfen. Irgendwann muss man die Verfassung dafür dann ändern.

Am Rande sei noch ein vierter und letzter Vorteil des Gegenvorschlages erwähnt. In seinen Übergangsbestimmungen hält er fest, dass der Auftrag zu Neuverhandlungen im Sinne der Masseneinwanderungs-Initiative bestehen bleibt. In den heutigen Übergangsbestimmungen gibt es eine dreijährige Frist. Diese ist abgelaufen. Da kann man sich als Bundesrat fragen: Soll ich noch, muss ich noch verhandeln? Hier würde klargestellt, wahrscheinlich im Sinne des Souveräns, dass der Auftrag weiterhin besteht.

Zum Schluss möchte ich nur noch kurz auf drei Punkte aus dem Votum des Mehrheitssprechers eingehen. Er hat die Selbstbestimmungs-Initiative erwähnt, auf die man ja auch noch warten könne. Die bringt hier aber nichts. Wir haben hier ein Spannungsverhältnis zwischen einer Verfassungsbestimmung und einem Umsetzungsgesetz. Erstaunlicherweise - aber es ist so - macht die Selbstbestimmungs-Initiative hierzu keine Aussage.

Es wurde auch gesagt, eine solche Initiative oder ein Gegenvorschlag könne als Zwängerei aufgefasst werden. Ich möchte auf die Bundesverfassung hinweisen, die explizit festhält, dass sie jederzeit geändert werden könne; und ich kann mich nicht erinnern, dass jemand bei der Abstimmung von 2014 gesagt hätte, es sei Zwängerei, dass man die Frage nach Kontingenten stelle, nachdem der Souverän doch zuvor viermal gesagt hat, er wolle die Bilateralen. Es ist sein Recht, seine Meinung zu ändern, sogar mehrfach.

Dann wurde von Kollege Föhn noch gesagt, es gebe einen Widerspruch im Gegenvorschlag. Man habe die Kontingente drin, mache dann aber doch einen Vorbehalt für das Völkerrecht. Das wäre eben genau die Idee des Gegenvorschlages. Man erhält den Auftrag so weit als möglich aufrecht - deswegen sagte ich "minimalinvasiv" -, wir werfen nicht alles raus. Wir sagen: Auftrag verstanden, Steuerung und Kontingente sind erwünscht, wir machen dort explizit eine Ausnahme, wo wir entsprechende Verträge eingegangen sind, mit dem Auftrag, diese neu auszuhandeln, so gut es geht. Wenn man sie aushandeln kann, kann man auch mit der Steuerung schärfer sein, aber nicht mehr.

Zusammenfassend: Dieser Gegenvorschlag bietet mehrere Vorteile, einerseits gegenüber der Rasa-Initiative, andererseits gegenüber dem Warten auf die "Ankündigungs-Initiative". Ich möchte Sie deshalb auf jeden Fall einladen, die Idee eines Gegenentwurfes zumindest so lange weiterzuverfolgen, bis verbindlich klargestellt ist, ob und wie eine solche Kündigungs-Initiative vors Volk kommt, denn ich finde - das ist meine Überzeugung, und deswegen stehe ich heute als Minderheitssprecher vor Ihnen -, der Souverän müsse diese fundamentale europapolitische Frage beantworten können. In diesem Sinne bitte ich Sie, auf den Gegenentwurf einzutreten. Sollten Sie dies - und damit muss man in der Politik auch rechnen - nicht tun, muss ich die Urheber der Rasa-Initiative, ohne damit eine Abstimmungsempfehlung zu geben, dazu einladen, sich zu überlegen, ob sie mit der Initiative ihren Beitrag geleistet haben, und sie bitten, sich im einen wie im anderen Fall einen Rückzug zu überlegen.
Ich bitte Sie aber nochmals, auf den Gegenvorschlag einzutreten.

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