Andrea Caroni

Ihr Ausserrhoder Ständerat

27. September 2021

Politische Arbeit | Wichtige Voten im Rat

Parlamentarische Initiative SPK-S. Covid-Zertifikatspflicht im Parlamentsgebäude (Kopie 1)

für die Kommission:
Ihre Staatspolitische Kommission hat die vorliegende dringliche Gesetzesänderung für eine Zertifikatspflicht im Parlamentsgebäude mit vorgängiger Zustimmung der Schwesterkommission in Rekordzeit beraten und am letzten Dienstag mit 9 zu 2 Stimmen bei 2 Enthaltungen verabschiedet. Der Bundesrat hat sich damit einverstanden erklärt. Er ist im Übrigen auch davon betroffen, auch er käme nur noch mit Zertifikat hinein. Es lohnt sich aber trotz dieser Fast-Einhelligkeit, das vorliegende Gesetz gut anzuschauen. Ich möchte es mit Ihnen kurz mit drei Blicken anschauen.
Auf den ersten Blick wirkt es nämlich einigermassen belanglos: Eine landesweite Covid-19-Regel wird einfach auf ein zusätzliches Gebäude irgendwo in Bern ausgedehnt. Auf den zweiten Blick bemerkt man dann die staatspolitische Brisanz und erschrickt etwas ob dem Gedanken, dass eine Parlamentsmehrheit darüber entscheidet, dass gewisse Ratsmitglieder nicht mehr ins Parlamentsgebäude hereingelassen werden sollen. Auf den dritten Blick erkennt man dann, dass es in der konkreten Ausgestaltung doch eine allgemein verträgliche, vorteilhafte Sache ist. Ich möchte Ihnen das kurz erklären.
Wagen wir den ersten Blick: In den Medien war zu lesen, dass sich die ganze Schweiz an die Covid-19-Zertifikatspflicht halte, mit einer Ausnahme, nämlich mit der Ausnahme einer dreisten Gruppe von Privilegienjägern - von uns Bundesparlamentariern. Wer so denkt, der kommt zum Schluss, dass dieses Gesetz der längst überfällige Nachvollzug einer allgemeinen Bürgerpflicht durch ein paar Renitente, eben durch uns, darstellt - also inhaltlich belanglos, da selbstverständlich.
Wer so denkt, der übersieht aber Zentrales und sollte einen zweiten Blick wagen, und der sieht dann Folgendes: Erstens haben wir Ratsmitglieder selbstverständlich keine Privilegien gegenüber der übrigen Bevölkerung; wenn wir ins Restaurant, Kino oder Fitnesscenter gehen, dann müssen auch wir ein Zertifikat vorweisen. Das scheint nicht allen in den Medien klar gewesen zu sein. Zweitens hat umgekehrt die allgemeine Bevölkerung an ihrem Arbeitsplatz keine Zertifikatspflicht von Bundesrates wegen. Arbeitgeber könnten eine Zertifikatspflicht beschliessen; getan haben es nur sehr wenige, darunter die Swiss für das fliegende Personal. Von daher ist eine Zertifikatspflicht im Parlamentsgebäude als Arbeitsplatz keine Selbstverständlichkeit, insbesondere auch nicht für alle Mitarbeitenden hier.
Drittens ist entscheidend, dass wir weder ein Freizeitbetrieb noch ein gewöhnlicher Arbeitsplatz sind. Wir sind vielmehr eine demokratische Institution zur politischen Willensbildung, in Vertretung der Bevölkerung. Entsprechend hat der Bundesrat alle Parlamente, nicht nur unseres, und auch alle Gemeindeversammlungen und Bürgerversammlungen von der Zertifikatspflicht ausgenommen. Weder der Einwohnerrat der Gemeinde Herisau noch das Parlament des Kantons Zürich haben eine solche Pflicht eingeführt, unseres Wissens auch keine Bürgerversammlung. Wir sind eben nicht zum Spass hier, sondern in Auftrag und Vertretung der Bevölkerung, um deren aktives Wahlrecht es geht.
Auf den zweiten Blick sieht man also die staatspolitische Brisanz. Per Parlamentsentscheid, der nicht einstimmig ergehen muss, schliessen wir Ratsmitglieder unter gewissen Bedingungen aus. Das ist zugegebenermassen rutschiges Terrain. Man stelle sich zum Beispiel vor, dass man nicht nach Zertifikat, sondern nach Parteizugehörigkeit jemanden ausschliessen würde, wie das übrigens im Zweiten Weltkrieg geschah. Jeder und jede von uns ist ja mit einem verfassungsmässigen Auftrag unterwegs. Wir haben die verbindliche Aufgabe, die Bewohnerinnen und Bewohner des Landes zu vertreten. Auf den zweiten Blick verstehe ich, wenn man ob der Vorlage etwas erschrickt. Wir werden vom Einzelantragsteller hören, ob er in diesem Sinne - beim zweiten Blick auf die Vorlage - auch etwas erschrocken ist.
Daher ist quasi zum Abschluss noch ein dritter Blick auf die Vorlage nötig. Solche Zutrittsschranken sind dann verfassungskonform, wenn sie eine gesetzliche Grundlage haben - diese schaffen wir jetzt hier -, wenn sie einem öffentlichen Interesse entsprechen und wenn sie verhältnismässig sind.
Zum Gesamtblick: Das geltende Recht kennt solche Einschränkungen bereits, zum Beispiel beim disziplinarischen Ausschluss durch den Präsidenten nach Artikel 13 des Parlamentsgesetzes oder bei Verdacht auf eine schwere Straftat.
Das öffentliche Interesse an dieser Vorlage ist vielfältig. Es geht primär um die Stärkung unserer Handlungsfähigkeit. Es geht darum, dass wir all diese Hürden, die Sie aktuell sehen und spüren, und all das, was unsere intensive Zusammenarbeit behindert, abschaffen können, zum Beispiel die Plexiglas-Spiegelkabinette, die Maskenpflicht oder die Abstandsregeln. Ins Gesetz haben wir zwar aus Gründen der Flexibilität nicht reingeschrieben, was genau man aufheben muss. Die Erwartung an die Verwaltungsdelegation kommt im Bericht und hier auch mündlich klar zum Ausdruck.
Es geht auch um die Stärkung unserer Handlungsfähigkeit, indem wir die Ansteckungen reduzieren und die Repräsentanz unserer Räte somit besser gewährleisten, auch wenn, auch das sei zugegeben, die grossen Ausfälle dank Impfungen unwahrscheinlich geworden sind.
Dann geht es im selben Sinne um einen Beitrag zur Pandemiebekämpfung und zur Entlastung der Spitalkapazitäten. Es gab ja auch schon Ratsmitglieder, bei denen ein Spitalaufenthalt notwendig war. Schliesslich demonstrieren wir damit auch der Bevölkerung ein wenig, wie problemlos und nutzbringend wir im Parlamentsgebäude das Zertifikat einsetzen können, dessen gesetzliche Grundlage wir ja selbst geschaffen haben.
Der entscheidende Punkt ist, dass die Massnahme auch verhältnismässig ist. Erstens betrifft sie nur über 16-Jährige, also durchwegs Impffähige. Über Schulklassen würde dann die Verwaltungsdelegation nach bisherigem Hausrecht entscheiden.
Zweitens ermöglicht sie den Zutritt über alle drei G, also nicht nur mit dem Nachweis einer Impfung oder einer Genesung, sondern auch der üblichen Tests. Ein dritter Punkt ist, dass bei Personen, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften, aufgrund ihrer Arbeitspflicht oder als gewähltes Ratsmitglied zwingend ins Parlamentsgebäude hinein müssen, die Tests wie für alle Bürgerinnen und Bürger vergütet werden.
Viertens ist klar, dass auch nicht-invasive Tests möglich sind. Es gibt also keinen zwingenden Eingriff in die physische Integrität. Namentlich die PCR-Spucktests, die hier im Parlamentsgebäude zur Verfügung stehen, können einfach gemacht werden. Einfach den ersten Test pro Woche, z. B. am Montagmorgen, muss man irgendwie selber organisieren, aber auch dieser ist nicht-invasiv möglich und wird vergütet. Das scheint uns für ein Ratsmitglied zumutbar. Bei der Beratung des Einzelantrages Engler sehen wir dann, wie die Umsetzung sogar noch mehr vereinfacht werden könnte.
Ein weiterer Punkt ist, dass die Verwaltungsdelegation eine Kompetenz erhält, das Covid-Zertifikat zu kontrollieren, wie sie es für optimal hält. Eine weitere Erleichterung ist, dass die Verwaltungsdelegation die Massnahme auch jederzeit aussetzen kann, wenn die epidemiologische Lage es erlaubt. So gesehen könnte die Verwaltungsdelegation auf künftigen Wellen mitsurfen. Schliesslich gilt das Gesetz nur ein gutes Jahr und ist auf Ende 2022 befristet. Das ist gleich lang wie die gesetzliche Grundlage für das Covid-Zertifikat, und auf dieser Grundlage baut dieser Entwurf hier ja auf.
Wenn das Covid-19-Gesetz dann in der Referendumsabstimmung Ende November scheitern sollte, würde es per März entfallen, und damit würde natürlich auch die Zertifikats-Pflicht nicht mehr gelten.
Noch kurz zwei Punkte zu unserer Kommissionsdebatte:
1. Auf "remote voting" als Auffangmechanismus haben wir mit 10 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen klar verzichtet. Es hätte einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich gehabt, nämlich eigentlich fast nur für Leute, die aus irgendwelchen weltanschaulichen Gründen partout kein Zertifikat machen wollen, oder aber für ganz wenige Ungeimpfte oder Nichtgenesene in Isolation oder Quarantäne. Die Geimpften und Genesenen kommen ja überhaupt nicht mehr in Quarantäne. Das war damals, als man das "remote voting" im Nationalrat einführte, noch ganz anders. Es hätte auch einige verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen, daher haben wir darauf verzichtet.
2. Dazu, ob diese Regel auch extra muros gelten soll, gibt es einen Minderheitsantrag Hefti.
Zuletzt noch der Hinweis, dass Ihnen jetzt, abgesehen vom Nichteintretensantrag von Kollege Rieder, auch ein Einzelantrag von Kollege Engler vorliegt, der für Ratsmitglieder ohne Covid-Zertifikat die Möglichkeit zum Eintritt mit Maske vorsieht. Ihre Kommission konnte das zwar nicht besprechen, aber ich mache Ihnen gerne transparent, dass wir, d. h. verschiedene Mitglieder aus der Staatspolitischen Kommission und dem Büro des Ständerates, zusammengearbeitet haben und dass wir wirklich alles daransetzen, dass diejenigen Ratsmitglieder, die kein Zertifikat haben, dennoch ins Bundeshaus kommen können. Wenn man es dann so anschaut, dann ist das eigentlich nicht sehr viel mehr als die heutige Maskenpflicht - mit Erleichterungsvorbehalt quasi für jene, die das Zertifikat vorweisen können.
Ich fasse zusammen: Der erste Blick trügt - wir beschliessen diese Vorlage nicht, um ein Privileg abzuschaffen, denn wir haben keines. Der zweite Blick weckt auf - es ist sorgfältig zu prüfen, wenn man als Parlament Auflagen für den Zugang macht. Der dritte Blick schliesslich beruhigt - diese Vorlage verfolgt wertvolle Ziele, namentlich die Vereinfachung unserer Ratstätigkeit, und ist dank sehr vieler Kautelen durchaus verhältnismässig.
Ich bitte Sie daher, auf die Vorlage einzutreten, wie es auch ihre Kommission mit 9 zu 2 Stimmen bei 2 Enthaltungen getan hat.
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