Andrea Caroni

Ihr Ausserrhoder Ständerat

13. Juni 2016

Wichtige Voten im RatVorstösse

Motion Bischof Pirmin. Beseitigung der Heiratsstrafe

Passend zu diesem familiären Thema erlaube ich Ihnen einen kurzen Blick ins Kinderzimmer meiner beiden Kinder. Dort hängt über dem Bett ein Mobile; Sie kennen diese verspielten Aufhängungen mit Elementen, Tieren oder Sternen, die umeinander herumtanzen. Bewegt man dort ein Element, dann kommt plötzlich alles in Aufruhr. Es ist fast unmöglich, die Elemente so aufzuhängen, dass sie zueinander einigermassen in einem gleichmässigen Abstand stehen. Die Familienbesteuerung ist auch ein solches Mobile. Es gibt unendlich viele Lebensformen, die alle steuerlich irgendwie in eine Balance und in einen gleichen Abstand gebracht werden wollen. Sie können von den alleinstehenden Unverheirateten zu den verheirateten Paaren gehen. Sie können alle diese Lebensformen durchspielen: mit Kindern oder ohne Kinder, als Einverdiener- oder Zweiverdiener-Ehepaar, mit 26 kantonalen Steuerregimes, mit verschiedenen Einkommensniveaus. Sie stellen dann fest, dass es in diesem Familiensteuer-Mobile fast so viele Konstellationen wie Einwohner gibt.
Es ist nun wahnsinnig schwierig, das Ganze so in einer Balance zu halten, dass niemand aufschreit und sagt: Ich werde benachteiligt! Die Betonung liegt auch auf einer nur ungefähren Balance. Was ich schon beim simplen Kinder-Mobile nicht schaffe, das schafft man eben hier bei Millionen von Elementen auch nicht, nämlich das perfekte Gleichgewicht. Das hat auch das Bundesgericht festgehalten. Es war nämlich seit 1984 nicht untätig, sondern hat seither weitere Entscheide gefällt und in zweien sogar gesagt, dass es dieses perfekte Gleichgewicht für alle nicht geben kann.
Aber schauen wir einmal kurz, wie es um die Ehe in diesem Mobile steht: Sie ist grundsätzlich mit der Progression, vom Zusammenrechnen her, tendenziell benachteiligt - das sagt der Motionär richtig. Aber es gibt ganz gewichtige Einschränkungen.
Es beginnt bei den Einverdiener-Ehepaaren: Hier stimmt es nicht ganz, was Sie sagen, da muss ich Ihnen widersprechen, Kollege Bischof. Ein Einverdienerpaar wird bei der Ehepaarbesteuerung immer bevorzugt. Denn es wird ja gar nichts zusammengerechnet - dafür gibt es den Verheiratetentarif und den Verheiratetenabzug. Die sind immer neutral oder bevorzugen diese Paare. Die Steuerverwaltung sagt, dass 200 000 von 300 000 Einverdiener-Ehepaaren sogar mit über 10 Prozent bevorzugt sind.
Schauen wir die Zweiverdiener-Ehepaare an: Von denen gibt es ungefähr 800 000, das ist die Hälfte aller Ehepaare. Auch diese profitieren vom erwähnten Verheiratetenabzug und haben zusätzlich noch den Zweiverdienerabzug. Im Fazit sieht es dann so aus, dass nur 10 Prozent von diesen 800 000, die berühmten 80 000, durch die Ehe einen Nachteil haben. Von den anderen haben die meisten keinen, das Ergebnis ist neutral. Ungefähr 170 000, also doppelt so viele wie diejenigen, die den Nachteil haben, haben einen Vorteil von über 10 Prozent. Das hat die Eidgenössische Steuerverwaltung auch ausgerechnet.
Jetzt schauen wir noch kurz die Situation bei den Rentnerpaaren an. Dazu kann man nichts Gescheites sagen, weil es die Zahlen hierzu nicht gibt.
Wenn Sie das alles anschauen, stellen Sie fest, dass es unter den 1,5 Millionen Ehepaaren auf der einen Seite die berühmten 80 000 Zweiverdiener-Ehepaare im hohen Segment gibt, das sind 5 Prozent aller Ehepaare, und auf der anderen Seite 25 Prozent verheiratete Bevorzugte, die Einverdiener-Ehepaare und viele Zweiverdiener-Ehepaare. Das ist nur die Bundessteuerbetrachtung. Was dazu noch entscheidend ist: Wenn die Kantone, die seit 1984 auch sehr viel gemacht haben, dazugenommen werden, sieht es nochmals sanfter aus, weil auch dort viele Paare entlastet wurden. Für ein heiratswilliges Paar, das die Rechnung machen will, zählt ja die Gesamtbelastung über alle Ebenen. Hinzu kommt noch ein Vorteil bei den Sozialversicherungen, vor allem wegen der Hinterlassenenrenten. Alleine bei der AHV beträgt der Vorteil der Ehe netto 800 Millionen Franken; dazu kommen noch andere Versicherungen.
Ich habe den Bundesrat - es war noch Ihre Vorgängerin, geschätzter Herr Bundesrat - in der Interpellation 14.4196 gefragt, ob es gemäss einer Gesamtbetrachtung eine Heiratsstrafe gibt oder nicht. Ich zitiere die Antwort: Man kann "keine Aussage darüber machen, wie viele steuerpflichtige Personen über alle staatlichen Ebenen von einem Heiratsnachteil betroffen sind". Hingegen hat die Eidgenössische Steuerverwaltung gesagt, es gebe die 370 000 mit dem Vorteil.
Wenn man das nun alles betrachtet, darf man, glaube ich, sagen, dass seit 1984 zumindest die Ehe in diesem Mobile in eine relativ komfortable Lage gekommen ist. Ich stelle fest, dass die Anzahl Heiraten zunimmt und sich der Motionär sogar "getraut" hat, in beiden Sinnen des Wortes.
Wollte man die relativ wenigen dieser benachteiligten Mobileteilchen noch besser stellen - das könnte man natürlich -, müsste man dermassen eingreifen, würde das Spiel dermassen ins Wanken kommen, dass viele neue Ungerechtigkeiten entstünden. Andere Teile würden kollidieren oder auseinandergeraten, namentlich eben zulasten der Konkubinatspaare und der Alleinstehenden. Ich befürchte einfach, dass es, wenn man hier jetzt noch mit weiteren Goodies, sage ich einmal, übermarcht, irgendwann so weit kommt, dass man fast sagen muss, die Ehe wird zum Steuersparvehikel. Das hat sie nicht verdient.
Nun gibt es in dieser Lage zwei Lösungen. Die eine wäre zu sagen: Wir machen nichts, weil wir finden, dass das Mobile einigermassen ausbalanciert ist. Ich weiss, das ist für Politiker wahnsinnig schwierig. Darum gibt es eine zweite Möglichkeit: Das ist die erwähnte Individualbesteuerung.
Ich möchte mich hier ganz kurz halten, weil wir knapp vor Sitzungsschluss sind. Daher nur noch ein paar Entgegnungen: Der Hauptvorteil der Individualbesteuerung ist, dass sie perfekt zivilstandsneutral ist. Das kriegen Sie sonst nicht hin. Ein zweiter Vorteil ist der zusätzliche Arbeitsanreiz, der damit geschaffen wird.
Kurz zur Bürokratie: In der Tat, es gäbe natürlich mehr Formulare. Ich kann aber aus Erfahrung sprechen, ich lebe individualbesteuert im Konkubinat: Wir müssen zwar zwei Formulare ausfüllen, aber die Gesamtzahl der Inhalte ist die gleiche, weil wir nicht mehr Quellen, Vermögen oder Einkommen haben, ob wir nun ein oder zwei Formulare ausfüllen. Die EDV hat auch grosse Fortschritte gemacht, und damals, als ich noch in der WAK-NR war, hiess es von der Städtischen Steuerkonferenz, man könnte die Individualbesteuerung "schmerzlos" einführen. Auch andere Fragen zu dieser Besteuerung könnte man lösen, wie es in der Mehrheit der OECD-Länder bis heute auch geschehen ist.
Ein weiterer gewichtiger Punkt ist jeweils, dass die Kantone die Individualbesteuerung nicht wollten, weil sie ihr eigenes System hätten. Nun, wir haben im Zusammenhang mit der Behandlung der Volksinitiative, die erwähnt wurde, bei den Kantonen in der Vernehmlassung eine Umfrage gemacht. Es wurde gefragt: "Wollen Sie unseren Gegenvorschlag, ja oder nein?" Und immerhin zwölf Kantone haben gesagt, dass sie keine zwingende, durch den Bund vorgeschriebene gemeinsame Besteuerung wollten.
In einem Punkt gebe ich dem Motionär Recht: Individualbesteuerung führt dazu, dass es darauf ankommt, ob ein Einkommen auf zwei aufgeteilt wird oder nur jemand Einzelnen betrifft. Es gibt ein Dilemma, ja ein Trilemma bei der Familienbesteuerung in diesem Mobile. Wenn man das auch noch beseitigen will - da biete ich ebenfalls gerne Hand -, dann bräuchte man nur noch eines, nämlich noch die Flat Tax dazu.
Mein Fazit: Ich empfehle Ihnen mal, die Motion abzulehnen und dann entweder einen verbleibenden Nachteil per Individualbesteuerung zu lösen oder aber ihn hinzunehmen, indem Sie das ganze Mobile betrachten. Und zum Schluss noch ein Wunsch an den Herrn Bundesrat: Sollte die Motion angenommen werden oder sollten Sie sich von sich aus noch weitere Gedanken Richtung Splitting oder Richtung alternative Berechnung machen wollen, dann bitte ich Sie, dort auch zumindest die Konkubinatspaare mit an Bord zu nehmen, damit dann nicht noch eine zusätzliche Ungerechtigkeit entsteht.

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