Andrea Caroni

Ihr Ausserrhoder Ständerat

05. Juni 2023

Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot

Der Kommissionssprecher hat angetönt, wofür keine Anträge vorliegen. Hier gestatte ich mir nur einen Gedanken, nämlich zu den Ausnahmen: Die erste brisante staatspolitische Frage der richtigen Ebene haben wir geklärt. Die grosse verbleibende Frage ist eben die der Ausnahmen.
Die Verfassung selber, um die Verfassungsdebatte noch etwas weiter zu spinnen, kennt ja explizit nur einen “ausschliesslichen” Ausnahmekatalog. Im vorliegenden Entwurf werden diese Ausnahmen in Artikel 2 Absatz 2 Buchstaben a bis e umgesetzt. Für die weiteren Ausnahmen aber – für Kultur, für Unterhaltung und für Werbung – gibt es ausdrücklich keine Verfassungsgrundlage. Als Beispiel diene die sympathische Figur des Schneehasen “Snowli”, den viele von Ihnen, oder zumindest Ihre Kinder kennen, mit dessen Verkleidung Schweizer Skischulen Kinder, fürs Skifahren begeistern. “Snowli” wäre, wie vieles andere auch, gemäss Verfassung eigentlich zu verbieten. Der Bundesrat sieht dennoch Ausnahmen für all diese Kategorien – eben Werbung, Kultur, Unterhaltung – vor. Er verweist dabei auf eine harmonisierende Verfassungsauslegung und auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).
Ganz abgesehen davon, dass die EMRK mangels des Prinzips der Wirtschaftsfreiheit zumindest die Werbung gar nicht schützt, ist das staatspolitisch schon brisant, und daher erlaube ich mir, Folgendes anzusprechen: Wir sprechen eigentlich Initiativen die Kraft ab, als “constitutio posterior et specialis” – also als spätere Bestimmung auf Verfassungsstufe – ganz konkrete Änderungen voranzubringen, ohne dass wir sie dann parlamentarisch weichspülen können. Wir setzen uns dann, wenn wir das tun, immer dem Vorwurf aus, dass wir Initiativen nicht korrekt umsetzen. Im vorliegenden Sonderfall allerdings sind die Initianten wahrscheinlich sogar froh, wenn wir ihre Texte noch etwas zurechtbiegen. Hier wird man uns den Vorwurf nicht machen. Aber wir setzen eben falsche Signale, wenn wir bei solchen Initiativen immer die Kohlen aus dem Feuer holen und hier noch Ausnahmen hinzuerfinden, die im Text explizit nicht drin waren. Das führt dann wiederum dazu, dass Initiativen künftig noch etwas legerer formuliert werden, im Sinne von: “die in Bern oben, die machen’s dann schon”, und dann kann man sie auch noch dafür beschimpfen, dass sie es nicht textgemäss machen. Vor diesem Hintergrund müsste man die Norm eigentlich wortgetreu umsetzen und eben gewisse Ausnahmen ausschliessen.
Hier kommt das “Snowli”-Dilemma zum Tragen. Denn um verfassungstreu zu sein und um staatspolitisch die korrekten Anreize zu setzen, müssten dann ausgerechnet liberale Gegner der Initiative und Verfassungsfreunde weitergehende Verbote fordern – beispielsweise eben ein Verbot von diesem “Snowli” -, mehr noch als es die Initianten selber wollen. Ich musste aufgrund der Vernehmlassung und der Kommissionsdiskussion dann einsehen, dass sich für eine solche Übung eigentlich niemand so richtig hergeben möchte. Daher gibt es von mir auch keine Minderheit dazu. Aber das “Snowli”-Dilemma bleibt bestehen.

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