Andrea Caroni

Ihr Ausserrhoder Ständerat

05. Juni 2023

Ausländer- und Integrationsgesetz. Zulassungserleichterung für Ausländerinnen und Ausländer mit Schweizer Hochschulabschluss

für die Kommission:

Die Vorlage basiert auf der Motion Dobler 17.3067 aus dem Jahr 2017, die die Räte angenommen haben. Der Nationalrat hat die Umsetzung im März angenommen. Inhaltlich geht es um eine neue Ausnahme bei der Zulassung von Ausländerinnen und Ausländern: Für Personen aus Drittstaaten, die in der Schweiz einen qualifizierten Abschluss erlangt haben, sollen die Höchstzahlen neu nicht mehr gelten. Der Inländervorrang für diese Gruppe wurde schon 2011 abgeschafft. Das Ziel der Vorlage ist auch aus Sicht Ihrer Kommissionsmehrheit an sich grundsätzlich unterstützenswert bis hin zu lobenswert, denn hochqualifizierte, in der Schweiz ausgebildete Personen sollen hier als gefragte Fachkräfte grundsätzlich arbeiten können. Aber der vorgeschlagene Weg führt aus Sicht Ihrer Kommissionsmehrheit in den Sumpf verfassungswidriger Kontingentierungsausnahmen.
Ihre Kommission empfiehlt Ihnen deshalb mit 8 zu 3 Stimmen bei 1 Enthaltung, auf die Vorlage nicht einzutreten – dies aus zwei Gründen: Zum einen ist sie verfassungswidrig, zum anderen sind die Kontingente per se gar nicht das Problem.
1. Die Vorlage ist manifest verfassungswidrig. Sie steht im Widerspruch zu Artikel 121a Absatz 2 der Bundesverfassung, der für alle Ausländerkategorien “Höchstzahlen und Kontingente” verlangt. Zwar hat das Parlament diese Bestimmung dem Freizügigkeitsabkommen untergeordnet, und der Souverän hat dies mit der Ablehnung der Kündigungs-Initiative implizit auch getan, aber bei Drittstaaten – das war und ist klar – gilt die Regelung an sich voll. Das sieht auch der Bundesrat so, wie er in der Botschaft klar festhält. Auf Seite 20 der Botschaft heisst es: “Den Höchstzahlen unterstellt sind heute auch Drittstaatsangehörige, die gemäss den Anforderungen der Motion in der Schweiz einen Hochschulabschluss erworben haben und hier anschliessend eine Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen. Ihre Ausnahme von den bestehenden Höchstzahlen widerspricht somit den Anforderungen von Artikel 121a Absatz 2 BV.” Auf der nächsten Seite der Botschaft steht im gleichen Sinne: “Der Bundesrat ist sich jedoch bewusst, dass die Vorlage der Auslegung von Artikel 121a BV in der Botschaft vom 7. Dezember 2012 zur Volksinitiative ‘Gegen Masseneinwanderung’ sowie der Botschaft vom 4. März 2016 zur Umsetzung von Artikel 121a BV widerspricht und somit seiner Auffassung nach nicht rechtskonform ist.”
Dass der Bundesrat dem Parlament die Vorlage nun gleichwohl unterbreitet, kann man angesichts der angenommenen Motion noch nachvollziehen. Für etwas Stirnrunzeln hat in der Kommission allerdings gesorgt, dass der Bundesrat dies sogar mit dem Antrag auf Zustimmung tut. Angesichts der manifesten Verfassungswidrigkeit hätte man bundesrätlicherseits vielleicht auf diesen Antrag auch verzichten können. Für Ihre Kommission war jedenfalls klar, dass wir die Verfassung hier nicht sehenden Auges verletzen wollen, umso mehr, als wir die Verfassungsgerichtsbarkeit erst jüngst abgelehnt haben, unter anderem mit der Begründung, dass wir diese Aufgabe hier in diesem Rate ja selber wahrnehmen können und sollen. Das Augenfälligste ist indes, dass es sich sowohl im Gespräch mit dem Motionär wie auch den dahinterstehenden Verbänden gezeigt hat – und Sie sehen es auch am Schreiben, dass wir jüngst erhalten haben -, dass selbst diese Kreise an dieser verfassungswidrigen Lösung nicht festhalten wollen. Das waren meine Kommentare zur Verfassungswidrigkeit.
2. Nun komme ich zur Frage, ob es an sich überhaupt eine gute Lösung wäre. Wenn das jemand wollte, könnte man zwar durchaus auf die Idee kommen, für eine bahnbrechende Lösung eine Verfassungsverletzung in Kauf nehmen zu wollen. Ihre Kommission sieht jedoch beim ganzen Thema der Kontingente keinen Handlungsbedarf. Gestützt auf die heutige Regelung, erfolgen jährlich einige Hundert Zulassungen dieser Personenkategorie. Formell unterstehen diese Personen heute zwar den Höchstzahlen, aber gemäss Auskunft der Verwaltung haben wir keine Hinweise darauf, dass die bestehenden Höchstzahlen hierfür nicht genügen würden – im Gegenteil: Die Höchstzahlen werden gar nicht ausgeschöpft. Ich kann Ihnen dazu am Beispiel der B-Bewilligungen – bei den L-Bewilligungen sieht es ähnlich aus – auch ein paar Zahlen des SEM geben: 2019 wurden 16 Prozent nicht ausgeschöpft; 2020 wurden 32 Prozent nicht ausgeschöpft, wobei man da sagen muss, dass damals Corona herrschte; 2021 wurden 20 Prozent nicht ausgeschöpft; 2022 wurden immerhin noch 9 Prozent nicht ausgeschöpft.
Nun könnten zwar die Kontingente in einem Kanton vielleicht ausgeschöpft worden sein, aber dann hätte dieser Kanton aus der Bundesreserve, die eben dem Ausgleich dient, solche beziehen können. Doch auch diese Bundesreserve wurde nicht ausgeschöpft. Auf unsere Frage hin hat uns das SEM gesagt, dass sie keine Kenntnis von auch nur einem Fall hätten, wo jemand in einem Kanton eine solche Bewilligung aus Kontingentsgründen nicht erhalten hätte. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte der Kanton die Bewilligung via Bundesreserve bekommen.
Nun könnte man noch überlegen, dass die Bundesreserve zwar zahlenmässig vorhanden seien, es für den Kanton aber zu mühsam sei, diese anzuzapfen. Doch auch das trifft offenbar nicht zu, wie zumindest die Abklärungen des SEM mit meinem Kanton ergeben haben. Per Ende April dieses Jahres sind die Verfahren, wie ein Kanton aus der Bundesreserve einfach und gebündelt solche Kontingente beziehen kann, offenbar sogar noch vereinfacht worden.
Das Fazit nach diesen beiden Argumentationen ist also: Es ist ein verfassungswidriger Weg, der hier für ein hehres Ziel vorgesehen wurde. Er ist unnötig, weil er eben das falsche Problem adressiert. Wenn schon, dann müsste man also, um im Verfassungsrahmen zu bleiben, Wege verfolgen, wie sie vielleicht der Bundesrat in seiner Botschaft als Alternativen skizziert. Dann müsste man allenfalls eine separate Kontingentsgruppe oder eine erhöhte Kontingentierung vorsehen. Das wurde in der Kommission kurz andiskutiert, war aber nicht Teil der vom Bundesrat ausgearbeiteten Vorlage. Noch viel zielführender wäre es wohl – und damit komme ich zum Ende -, nicht an den Höchstzahlen zu operieren, die gar nicht das Problem sind, sondern zu schauen, ob die individuellen Verfahren zu kompliziert sind. Es geht also nicht um die Frage, wie der Kanton zu seinen Kontingenten kommt, sondern vielmehr darum, wie das Individuum, das Unternehmen dann zu seiner Bewilligung kommt.
Eine Option, die es auf der Welt offenbar schon gibt, bestünde darin, dass solche Leute bereits während ihres Ausbildungsganges einen Stempel abholen könnten, um sich für später zu qualifizieren. Damit könnte man vielleicht etwas Zeit gewinnen. Dies konnte aber im Rahmen dieser Vorlage, die eine andere Stossrichtung hat, so nicht diskutiert werden.
Am naheliegendsten und saubersten und im Einklang mit dem Antrag der Kommissionsmehrheit ist es also, hier reinen Tisch zu machen, die Vorlage, die im Jahr 2017 so bestellt wurde, abzutischen. Sie ist verfassungswidrig und geht am Problem vorbei. Dann kann man, wenn schon, ein neues Geschäft starten, bei dem man die Frage aufwerfen und prüfen kann, ob es bei den individuellen Verfahren allenfalls Verbesserungspotenzial gibt. Ich denke, sollte der Rat jetzt dennoch auf die Vorlage eintreten, müsste sich die Kommission diese Gedanken selber machen und sich auch überlegen, ob man die Vorlage dann an den Bundesrat zurückweisen will. Wenn man das Verfahrensproblem diskutieren will, braucht es eine neue Vorlage.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt Ihnen Ihre Kommission, wie gesagt mit 8 zu 3 Stimmen bei 1 Enthaltung, auf diese Vorlage nicht einzutreten.

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