Andrea Caroni

Ihr Ausserrhoder Ständerat

07. März 2024

Voten im Rat

Motion Andrey Gerhard. Völkerrechtliche Grundlagen für Reparationszahlungen an die Ukraine

Präsident (Caroni Andrea, erster Vizepräsident):

Ich darf Ihnen namens einer vielfältigen Minderheit die Argumente für die Annahme der Motion darlegen. Völkerrechtlich ist der Grundsatz klar: Wer einem anderen Staat widerrechtlich Schaden zufügt, der hat diesen zu ersetzen. Das ist ein Grundsatz. Ein prominenter – der prominenteste – Anwendungsfall ist eben der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mit Schäden von weit über 100 Milliarden Franken. Eine Durchsetzung solcher Reparationszahlungen gegen den Willen des Schädigers ist wie so oft im Völkerrecht, gelinde gesagt, anspruchsvoll. Deshalb überlegt man sich ja Wege, wie man zur Durchsetzung gelangt.
Zum einen gibt es da die Vermögenswerte von Privaten, zum Beispiel die gesperrten Gelder russischer Oligarchen. Aber diese Gelder kann man nicht einfach konfiszieren, das hat auch der Bundesrat analysiert und festgestellt. Die Oligarchen sind ja oft nicht direkt die Schädiger – anders ist es bei strafrechtlicher Verurteilung. Aber diese Gelder stehen auch nicht im Fokus der Motion.
Im Fokus der Motion stehen Vermögenswerte des Staates, zum Beispiel konkret gesperrte Gelder der russischen Zentralbank. Und da – in der Tat – ist das grosse Thema die völkerrechtliche Immunität. Die findet sich in zwei Übereinkommen, wie es der Mehrheitssprecher auch gesagt hat. Wobei noch anzumerken ist, dass Russland weder das eine noch das andere ratifiziert hat. Es ist etwas speziell, wenn man sich auf etwas beruft, das man den anderen nicht versprechen wollte, das man zugunsten der anderen nicht unterschrieben hat.
Damit wäre das Thema ja eigentlich erledigt, gäbe es nicht noch das Völkergewohnheitsrecht, das nach herrschender Ansicht den Schluss zulässt, dass staatliche Vermögen grundsätzlich von der Immunität geschützt sind.
Der direkt geschädigte Staat wiederum, also die Ukraine, hätte durchaus Gründe, sich darüber hinwegzusetzen. Das Völkerrecht sieht Retorsionen, sieht Repressalien vor. Wenn jemand anderes den Vertrag nicht einhält, dann darf der geschädigte Staat reagieren. Darum ist das Problem ja nur, dass wir jetzt von Drittstaaten sprechen – also nicht, dass die Ukraine russische Gelder konfiszieren darf, sondern dass es Dritte auch tun würden. Dazu laufen internationale Diskussionen, die anspruchsvoll sind – auch der Mehrheitssprecher hat das gesagt. Man muss sich überlegen, ob es im geltenden Recht Möglichkeiten gibt, das so zu interpretieren. Auch Gewohnheitsrecht hat sich über die Zeit entwickelt; auch die Verträge sind entstanden, weil nämlich das, was verletzt wurde, das Aggressionsverbot, nicht einfach nur eine Regel zugunsten eines Staates war, quasi zulasten Russlands, sondern eine Regel -im Völkerrecht sagt man erga omnes -, die für alle gilt. Gegenüber der Weltgemeinschaft darf der Frieden nicht gebrochen werden, das steht so in der UNO-Charta.
Der letzte kleine logische Schritt, die einzige verbleibende Frage ist jetzt eigentlich, ob denn das Recht, Reparationen zu verlangen, quasi auch ein Anspruch aller ist – ich sage es jetzt etwas pathetisch: ein Anspruch aller, die ja verletzt sind als Weltgemeinschaft, aller, die diesen Anspruch auf Frieden haben. Oder dürfen Dritte das nicht verlangen? Die Motion nimmt die Antwort nicht vorweg, sie verlangt auch in keiner Art und Weise einen Rechtsbruch. Sie sagt nur, der Bundesrat solle sich im Rahmen seiner Kapazitäten und Möglichkeiten an der internationalen Diskussion beteiligen. Der Bundesrat soll seine Expertise einbringen, denn wenn die Schweiz in diesem Konflikt eine Fahne hochhalten kann, ist es ja die des Völkerrechts. Der Bundesrat sagt jeweils auch: Wir sind neutral, aber wir nehmen Partei für das Völkerrecht, das eben den Frieden schützt. Eine Konsequenz daraus ist auch, dass man die Schäden, die man beim Bruch des Friedens eben anrichtet, selber trägt, selber tragen muss.
Also es geht zum einen darum, den bestehenden Rechtsrahmen auszuloten, und zum anderen darum zu überlegen, wie man diesen weiterentwickeln könnte. Schlimmstenfalls wäre es erst für die Zukunft, aber diese Frage muss und darf man sich stellen.
Darum ist eigentlich der einzige verbleibende Einwand, den man noch diskutieren kann: Braucht es dazu denn eine Motion? Macht das der Bundesrat nicht sowieso?
Gäbe es noch gar keine Motion dazu, könnte man sich die Frage stellen. Aber es gibt sie, und ein Rat hat ihr auch schon zugestimmt. Der Bundesrat selber empfiehlt sie auch zur Annahme. Er wünscht sich diesen Rückenwind offenbar, und meine Minderheit möchte ihm diesen Rückenwind auch geben. Ich fände es auch ein etwas spezielles Zeichen, wenn wir, nachdem ein Rat die Motion beschlossen hat, und der Bundesrat das möchte, jetzt einfach sagen, wir wollen genau dasselbe, man soll das bitte klären, die Schweiz soll hier helfen, aber wir lehnen diese Motion jetzt ab. Das ist eine viel schwierigere Message, als zu sagen, wir wollen auch, dass der Bundesrat das genau anschaut.
Mein letzter Gedanke ist folgender: Wenn Russland die Schäden nicht zahlen muss – und ich gebe zu, dass Russland zahlt, ist ein Ziel in weiter Ferne -, zahlen am Schluss die übrigen Staaten den Wiederaufbau und kommen für die Schäden auf. Wie schwierig und anspruchsvoll das ist, sehen Sie dann gleich beim nächsten Geschäft – oder Sie haben es vor zwei Tagen bei der Debatte im Nationalrat gesehen.
Darum ist es doch ein hehres Ziel, dass man sagt, wir schauen im Rahmen der zulässigen Möglichkeiten und der internationalen Koordination, wie wir den Aggressor selber in die Pflicht nehmen können.

Mehr