Als Ausserrhoder musste ich mir die Augen reiben, als ich die Plakate zu dieser Initiative zum ersten Mal in meinem Kanton sah. Wir leiden nämlich nicht an einer Masseneinwanderung, wir haben schon eher mit Abwanderung zu kämpfen. Unser Regierungsrat hat sich sogar zum Legislaturziel gesetzt, die Bevölkerungszahl zu steigern. Darum, liebe Initianten, bevor Sie das nächste Mal eine solche Initiative lancieren, geben Sie doch diesen hochqualifizierten Ausländern, die Sie nicht mehr wollen, einfach unsere Standortbroschüre Ausserrhodens in die Hand! Sie können diese umsonst bei mir beziehen. Bei uns sind gute Leute immer willkommen.
Von Ausserrhoden möchte ich nun aber den Blick in die Welt schweifen lassen und kurz überlegen: Was hiesse es denn für unsere internationalen Beziehungen, wenn wir diese Initiative annähmen? Die Initiative reibt sich erstens einmal mit dem völkerrechtlichen Non-Refoulement-Gebot. Wenn die Kontingente im November ausgeschöpft sind, dann können Sie nicht im Dezember hingehen und einen verfolgten Flüchtling der Folter überlassen. Dasselbe gilt zweitens für unsere Menschenrechtsverpflichtungen aus dem Uno-Pakt II, aus der EMRK, wo wir ja versprochen haben, Menschen ein gewisses minimales Familienzusammenleben zu gewähren. Auch das reibt sich mit pauschalen Verweigerungen des Aufenthalts nach Kontingenten. Drittens ist unser Land auch wichtige handelsrechtliche Verpflichtungen eingegangen, im Rahmen der WTO, im Rahmen von bilateralen Freihandelsabkommen, wo wir ebenso auf den Inländervorrang und Kontingente für gewisse Gruppen verzichtet haben.
Das Herz aller internationalen Verträge aber, auf das ja die Volksinitiative direkt zielt, ist das Freizügigkeitsabkommen mit der EU. Jeder in diesem Saal weiss, dass diese Initiative diesem Freizügigkeitsabkommen diametral entgegenläuft. Die Initiative fordert den Bundesrat ja auch auf, entweder neu zu verhandeln oder das Freizügigkeitsabkommen zu kündigen. Die Idee der Neuverhandlung ist natürlich Augenwischerei. Die Personenfreizügigkeit ist ein Wesenskern des Europäischen Binnenmarkts, und die EU wird uns nimmer Zugeständnisse machen. Sogar wenn sie zu diesem Thema überhaupt Gespräche aufnehmen würde - haben Sie denn das Gefühl, dass der Gesamtdeal am Ende für uns vorteilhafter wäre als der heutige? Im Gegenteil. Gerade Sie zur Ratsrechten, Sie beklagen ja auch immer die Forderungen der EU bezüglich automatischem Informationsaustausch, Übernahme des Steuerkodex, institutionellen Reformen und fremden Richtern, wie Sie sie nennen. Mit solchen Verhandlungen aber, da öffnen Sie diese Büchse der Pandora. Und ganz besonders spielen Sie den Verhandlungspartnern in die Hände, weil sie selber uns ja eine Frist von drei Jahren zum Abschluss setzen. Gibt es denn etwas Schöneres für einen Verhandlungspartner, wenn er weiss, dass die Gegenpartei innert einer Frist abschliessen muss? Warum wollen Sie uns der EU - ausgerechnet Sie - dermassen ans Messer liefern? Die Idee der Kündigung ist kein Deut besser, denn damit fällt ja nicht nur das Freizügigkeitsabkommen weg, sondern die Guillotine würde heruntersausen und gleich alle Verträge der Bilateralen I köpfen. Wir verlören damit nicht nur das Freizügigkeitsabkommen und diese unbürokratische Zulassung von wertvollen Arbeitskräften, die unsere Wirtschaft antreiben, wir verlören auch das Abkommen, welches unserer Industrie erleichterte Exporte ermöglicht, wir verlören das Agrarabkommen, das unserer Landwirtschaft namentlich den Käseexport erlaubt, wir verlören den einfachen Zugang unseres Landverkehrs zur EU, wir verlören den Zugang unseres Luftverkehrs zur EU, und wir würden, und dies als Wissensnation, sogar von der Forschungszusammenarbeit abgeschnitten.
Sogar wenn das eine oder andere Abkommen dann separat wieder ausgehandelt werden könnte, hätte dies zwei schwerwiegende Nachteile: zum einen den Preis, den wir auf den Verhandlungstisch legen müssten und zum anderen die enorme Unsicherheit für unseren Wirtschaftsstandort in den langen Jahren der Kündigung und der Neuverhandlung. Diese Unsicherheit alleine ist ja schon Gift.
Zum Abschluss: Ich verstehe gewisse Sorgen, die sich aus der Zuwanderung ergeben mögen. Sehen wir aber die immensen Vorteile, die uns die Personenfreizügigkeit bringt. Lösen wir konkrete Probleme mit konkreten Lösungen, aber schütten wir nicht das Kind mit dem Bade aus. Denn nehmen wir die Volksinitiative an, können wir das Freizügigkeitsabkommen nicht neu verhandeln, wir können es faktisch nur künden. Und damit schütten wir dann mit dem Kind das Bad aus und gleich reihenweise alle bilateralen Bäder. Und die Nachteile, die uns dadurch entstünden, die hätten sich gewaschen. Ich bitte Sie, diese Initiative abzulehnen.
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