Andrea Caroni

Ihr Ausserrhoder Ständerat

07. März 2023

Politische Arbeit | Wichtige Voten im Rat

Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot

Auch wenn ich damals im Gegenkomitee aktiv mitwirkte, anerkenne ich selbstverständlich, dass diese Burka-Initiative jetzt gültiger Verfassungstext wurde. Und weil sie nicht unmittelbar anwendbar ist, ist sie auch auf Gesetzesstufe umzusetzen. Das ist klar und anerkannt.
Es stellt sich einfach die Frage, auf welcher Ebene diese Umsetzung geschehen soll. Der Kommissionssprecher hat einiges ausgeführt, eben auch, dass die Mehrheit der Meinung ist, es sei jetzt Sache der Kantone.
Der Bundesrat sieht nun, offenbar den kantonalen Justizdirektoren zuliebe, eine Bundeslösung vor. Aber es war eine ziemliche Überraschung, als ich das zum ersten Mal gelesen habe. Denn der Bundesrat hat zuvor in ungefähr zehn Episoden des ganzen Prozesses klargemacht, dass es dann zu kantonalen Lösungen führen dürfte, sollte. Der Kommissionssprecher hat das Beispiel aus der Ständeratsdebatte genommen. Die Beispiele beginnen beim indirekten Gegenvorschlag und den Erläuterungen dazu, gehen dann über die Ratsdebatten hinaus bis ins Abstimmungsbüchlein und in die Abstimmungs-"Arena". Den Satz aus dieser Abstimmungs-"Arena", den vielleicht mehr Leute gehört haben als das, was hier im Rat gesagt wurde, möchte ich Ihnen kurz zitieren. Da sagte Frau Bundesrätin Keller-Sutter: "Wenn die Initiative angenommen wird, gibt es keine Bundeskompetenz. Es wird kein einheitliches Bundesgesetz geben. Wenn die Initiative angenommen wird, ist es rechtlich so, dass alle 26 Kantone verpflichtet werden, ein Gesetz zu machen. Hierbei gelten dann die Eckwerte von diesem Text." Das war der Schlusspunkt der bundesrätlichen konsequenten Aussage.
Nach der Konsequenz komme ich jetzt noch zur Konstitutionalität. Was dürfen wir überhaupt von der Verfassung her tun? Schon diese grundsätzliche Zuständigkeit des Bundes ist hier ein Gewürge. Denn dafür braucht man ja eine Kompetenznorm. Nur weil ein Grundsatz in der Verfassung steht, zum Beispiel ein Verhüllungsverbot, haben wir noch keine Kompetenz in diesem Hause. Es gibt zum Beispiel auch Grundsätze in der Verfassung über das Schulwesen, über die Volksschule. Aber das heisst nicht, dass der Bund deshalb die Volksschulgesetzgebung machen soll. Es braucht also eine Kompetenznorm. Der Bundesrat selber hat immer gesagt, Artikel 10a der Bundesverfassung sei keine Kompetenznorm. Die Initianten haben keine vorgesehen, und der Grund ist relativ einfach. Sie haben, ich schaue den Tessiner Kollegen an, einfach copy-paste den Tessiner Text genommen und sich nicht überlegt, dass man irgendwo noch hätte reinschreiben müssen - das wäre die Lösung für künftige Initianten, Kollege Minder, dass man einfach noch das Wort "Bund" reinschreibt -, der Bund solle dann diese Gesetzgebung machen. Das wäre die einfache Lösung gewesen. Wir hätten eine Bundeskompetenz, und alles wäre geregelt. Aber wenn man das nicht sagt, dann gibt es keine Bundeskompetenz, und dann gelten die allgemeinen Regeln.
Der Bundesrat behilft sich nun etwas mit einem Trick. Er sagt, er habe die Strafrechtskompetenz. Aber Artikel 10a der Bundesverfassung verlangt keine Bestrafung. In der Initiative steht nichts von der Strafe. Der Bundesrat beruft sich nun auf die Kompetenz, mit der man alles bestrafen kann. Aber wenn man das zu weit interpretiert, dann können Sie beim Bund schlussendlich alles regeln, was die Kantone machen, und einfach sagen: "Wer das nicht befolgt, kriegt eine Strafe, wir sind hier ja kompetent." Das ist nicht die Idee der Strafrechtskompetenz. Das ist das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt: Man bestimmt eine Strafe, damit man dann kompetent ist. In der Medienmitteilung vom 12. Oktober letzten Jahres sagt der Bundesrat selber: "Bei dieser Vorlage steht die Bestrafung nicht im Vordergrund." Das entspricht auch einem Zitat. Dann zu sagen, kompetent seien wir alleine wegen der Strafrechtskompetenz, das ist doch ein Widerspruch.
Jetzt noch ein letzter Gedanke: Nehmen wir an, wir hätten eine Kompetenznorm, in der steht, der Bund könne das auch regeln. Das wäre ja erst die halbe Miete. Wir haben das Subsidiaritätsprinzip. Das sagt ja sogar: Auch wenn wir kompetent sind, sollten wir diese Kompetenz nur nutzen, wenn wir das auch wirklich besser regeln als die Kantone. Es reicht nicht, dass sich das ein paar kantonale Justizdirektoren - noch ohne Absprache mit der KdK - wünschen. Der Föderalismus ist kein Wunschkonzert. Die Materie, um die es geht, das "vivre ensemble", wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hier sagt, die öffentliche Sicherheit, der öffentliche Raum, ist klassische kantonale Polizeihoheit; der Kommissionssprecher hat es auch erwähnt.
Viele Kantone haben ja schon Regeln zur Vermummung, zur Burka, und könnten einfach ein, zwei Sätze in ihre kantonalen Polizeigesetze hineinschreiben. Eine Bestimmung zur Burka haben nur zwei Kantone, eine zu Vermummungen haben ungefähr vierzehn oder siebzehn Kantone. Damit wäre auch garantiert, dass die Kantone ihre Gestaltungsfreiheit behielten, denn sie sind ja auch sehr unterschiedlich, z. B. im Brauchtum und Klima. In Urnäsch verhüllen sich noch die Silvesterkläuse, wenn in Genf das neue Jahr schon dreizehn Tage zuvor begonnen hat. Und am Blau-Schnee-Gletscher am Säntis ist es noch eiskalt, während im Tessin schon die Magnolien blühen. Wir sind hier einfach unterschiedlich.
Für die Regelung durch den Bund spricht auch etwas, das gebe ich fairerweise zu, aber nur etwas, nämlich, dass man die Zweijahresfrist gemäss Bundesverfassung etwas besser wahren könnte. Aber auch diese ist bereits abgelaufen, oder sie läuft in wenigen Tagen ab. Für diese technische Frage jetzt den Föderalismus zu ritzen - wir sollten das dem nicht unterjochen.
Mein föderalistisches Fazit ist: Der Bund sollte, wie er es immer erklärt hat, zugunsten der Kantone auf ein zentralistisches Gesetz verzichten. Umgekehrt aber wären die Kantone - und da bin ich völlig bei Herrn Minder - eigentlich schon heute in der Pflicht, die Norm rasch umzusetzen.
Daher und nur daher beantragt die Mehrheit Nichteintreten.
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